Unfreiwilliger Stundenausfall

Jede fünfte Schule in Sachsen-Anhalt hat Probleme bei der Unterrichtsversorgung

  • Franziska Höhnl
  • Lesedauer: 3 Min.

Magdeburg. Die Zahl der Schüler an den öffentlichen Schulen in Sachsen-Anhalt ist weniger stark gestiegen als erwartet. Mit gut 176 000 Kindern und Jugendlichen sitzen etwa 1800 mehr in den Klassenzimmern als vor einem Jahr, wie Bildungsminister Marco Tullner (CDU) am Dienstag bekanntgab. Schätzungen waren zuvor von 3300 bis 5000 mehr ausgegangen.

Dennoch gab es zum Schuljahresstart an fast jeder fünften Schule nicht genügend Lehrer, um alle geplanten Unterrichtsstunden zu erteilen. Laut Ministerium ist das Ausmaß bei diesen Einrichtungen beträchtlich: Bei den Grundschulen fehlt Personal für mindestens zehn, bei allen anderen Schulen für mindestens 15 Stunden pro Woche.

Im August 2016 lag der Wert des Bedarfs an Pädagogen, um den Unterricht abzudecken landesweit bei 100 Prozent. Das heißt, der Unterricht wäre nur abgesichert, wenn kein Lehrer krank ist, keine Lehrerin schwanger wird oder andere Ausfälle eintreten.

Um für diese Fälle einen Puffer zu haben, will die schwarz-rot-grüne Landesregierung eine Versorgung von 103 Prozent erreichen. Zum Start des neuen Schuljahres lag der Wert nach Ministeriumsangaben bei 101 Prozent und damit einen Punkt besser als im Vorjahr. Anders sieht es aus, wenn man auf die Schulformen schaut: Während Gymnasien mit 103,2 Prozent das Koalitionsziel schaffen, liegen alle anderen darunter. Besonders schlecht sieht es bei Förderschulen (97 Prozent) aus.

Um Druck auf die Landesregierung auszuüben, hat eine Volksinitiative für mehr Lehrer im ganzen Land Unterschriften gesammelt. Am Mittwoch überreichten die Organisatoren die Listen an Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch (CDU). Vor gut zwei Wochen hatte die Sprecherin der Initiative, Thekla Mayerhofer, mitgeteilt, die nötigen 30 000 Unterschriften zusammenzuhaben. Insgesamt unterstützen 77 000 Unterzeichnende die Initiative. Nun muss sich der Landtag mit dem Anliegen befassen. Zu den Hauptforderungen des Bündnisses gehört, dass das Land zusätzliche 1000 Lehrer und 400 Pädagogen einstellen soll. Zudem verlangt die Initiative, dass mehr Lehrer ausgebildet und im Land gehalten werden.

»Wir sind besser geworden«, versicherte Bildungsminister Tullner, »aber wir sind nicht zufrieden. Wir werden weiterhin hart arbeiten, um die Versorgung zu verbessern.« Zur Lehrerversorgung bemerkte der Minister: »Einstellen, einstellen, einstellen.« Derzeit liefen die Ausschreibungen für 134 befristete Stellen, etwa um Langzeitausfälle zu ersetzen. Am Freitag sollen zudem 220 unbefristete Stellen ausgeschrieben werden. Das seien 40 mehr als geplant. Das Plus soll vor allem den Grundschulen zugute kommen.

Zuletzt hatte Sachsen-Anhalt im Sommer 100 von 370 Posten nicht besetzen können. Zur Besserung der Situation änderte das Ministerium unter anderem die Einstellungskriterien. So können künftig auch Lehrer eingestellt werden, wenn sie nur für eines der zwei gesuchten Fächer ausgebildet sind. »Wir haben alles flexibilisiert, was sich flexibilisieren lässt«, meinte Tullner und versicherte, die Qualität werde nicht darunter leiden.

Gewerkschaften, die oppositionelle LINKE und Schulverbände hatten dem Ministerium in den vergangenen Wochen wiederholt vorgeworfen, die Situation mit »Rechentricks« zu beschönigen. Beispielsweise sei der Faktor verringert worden, mit dem der Lehrerbedarf je Schule errechnet werde, monierte Thekla Mayerhofer.

Auf Kritik stieß auch die Tatsache, dass Referendare in diesem Schuljahr bereits nach vier Wochen eigenverantwortlich und ohne Begleitung eines erfahrenen Kollegen für mehrere Stunden pro Woche vor einer Klasse stehen dürfen. Das war bisher erst nach vier Monaten der Fall. Nach den Vorgaben des Vorjahres sei die Unterrichtsversorgung jetzt deutlich schlechter, erklärte der Bildungsexperte der Linksfraktion, Thomas Lippmann. Seinen Berechnungen zufolge kann das Personal nur 96 Prozent des Bedarfs abdecken. dpa/nd

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