Nur den Draht aufgeknüpft

Nach »Go-ins« auf dem Atomwaffenstützpunkt stehen Aktivist_innen wegen Hausfriedensbruch vor Gericht

  • Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 4 Min.

In Büchel lagern noch 20 US-Atomwaffen mit der 26-fachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe. Im Rahmen eines Aktionstages, der im September 2016 vom Jugendnetzwerk für politische Aktionen (JunepA) initiiert wurde, war es neun Aktivisten gelungen, auf die Start- und Landebahn des Fliegerhorstes Büchel zu kommen. Genau dorthin, wo Bundeswehrpiloten mutmaßlich den Einsatz von Atomwaffen üben. Den deutschen Soldaten ist das Training mit den Atombomen vom Typ B61 erlaubt, ja sogar vorgeschrieben, dies regeln die Bestimmungen der »nuklearen Teilhabe« der NATO. Die Lagerung der Bomben wurde 2010 durch die Veröffentlichung von Botschaftsdepeschen auf der Internetplattform WikiLeaks publik. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es allerdings immer noch nicht.

Immer wieder wird in Büchel gegen den Atomwaffenstützpunkt protestiert. Lokale Initiativen, klassische Organisationen der Friedensbewegung, Christen, Künstler und Gruppen wie JunepA beteiligen sich am Protest. Mehrfach gab es schon »Go-Ins«, bei denen Aktivisten es auf den Bundeswehrstützpunkt geschafft haben. Dies scheint in Büchel auch gar nicht so schwer zu sein, wie beim Prozess am Montag in Cochem zu hören war. Denn an den jeweiligen Enden der Landebahn gibt es nur einen sogenannten »Crashzaun«. Wie ein Bauzaun besteht dieser aus einzelnen Elementen, nur, dass der Crashzaun an dünnen Holzpfosten in der Erde verankert ist. Verbunden sind die jeweiligen Elemente mit einem Draht.

Vor Gericht konnten die Atomwaffengegner überzeugend darlegen, dass sie nur einen Draht aufknüpfen mussten, um auf den Stützpunkt der Luftwaffe zu gelangen. Ob eine Beschädigung, die später am Zaun festgestellt wurde, von den Atomwaffengegnern stammte, konnte nicht nachgewiesen werden. Und so war der Vorwurf der Sachbeschädigung in Cochem auch schnell vom Tisch. Der Teilerfolg freute die Angeklagten, die den Prozess auch als Bühne nutzten, um ihre politischen und moralischen Gründe für das »Go-In« darzulegen.

»Mir wird vorgeworfen, Hausfriedensbruch auf einem militärischen Gelände begangen zu haben. Der Fliegerhorst Büchel ist eindeutig kein häuslicher Bereich, in dem Frieden herrscht. Im Gegenteil: Hier wir der Krieg geübt. Tagtäglich«, sagte Katja Tempel zu Beginn ihrer Stellungnahme. Alle vier Angeklagten hatten sich dafür entschieden, sich selbst zu verteidigen und die Beweggründe für ihre Aktion in ausführlichen Stellungnahmen darzulegen.

In der Geschichte, angefangen bei der Bibel über die Rassendiskriminierung in den USA bis hin zum Mauerfall, sei ziviler Ungehorsam ein probates Mittel gewesen, um gesellschaftliche Entwicklungen zu erkämpfen. Ungehorsam sei auch legitim im Protest gegen Massenvernichtungswaffen. Von Büchel gehe nicht nur eine Gefahr aus für die Menschen in potenziellen Einsatzgebieten. Da der Stützpunkt selbst Ziel eines Angriffes werden könnte, seien auch die Menschen in der Eifel bedroht, argumentierte Katja Tempel. Ihr Plädoyer endete mit der klaren Ansage, sich Kriegsvorbereitungen »immer wieder widersetzen« zu werden. Sowohl in Büchel als auch anderswo.

Amtsrichter Michel hörte sich die Stellungnahmen der vier Angeklagten im Alter zwischen 23 und 65 Jahren gelassen an. Über die Anträge der Aktivist_innen, zwei Protestforscher und den ehemaligen Richter am Bundesgerichtshof Dieter Deiseroth zur Legitimität des zivilen Ungehorsams anzuhören, will der Richter noch entscheiden. Dass er die Anträge nicht direkt ablehnte, freute die Angeklagten und ihre Unterstützer_innen. Es sei gut, dass der Richter Raum für die Stellungnahmen gegeben habe, sagt Clara Tempel von JunepA. Sie, die Tochter der Angeklagten Katja Tempel, ist bei JunepA aktiv und wird ab Mitte Oktober vor Gericht stehen, wenn gegen die fünf 18-21 jährigen verhandelt wird, die bei dem »Go-In« im letzten Jahr dabei waren.

Mutter und Tochter auf der selben Aktion anzutreffen, ist bei »JunepA« nicht ungewöhnlich. Einige haben einen familiären Background in sozialen Bewegungen oder bei NGOs. Die Aktivist_innen von JunepA seien »fast alle« in den Jugendorganisationen von großen Organisationen wie Greenpeace oder dem BUND aktiv gewesen, so Tempel. Der Wunsch, selbstbestimmter zu agieren und auch Aktionen wie so eine Blockade durchzuführen, habe vor einigen Jahren zur Gründung von JunepA geführt. Die Gruppe ist in verschiedenen Städten mal mit fünf, mal mit 25 Mitstreiter_innen aktiv. Sie wollen die Auseinandersetzung mit brisanten Themen anstoßen und einen Rahmen für Aktionen liefern.

Der klassischen Friedensbewegung fühlen sich die Aktivist_innen mit »großem Umfeld« kritisch und solidarisch verbunden. Verschwörungstheoretische und rechte Tendenzen wie den »Friedenswinter« oder die »Montagsmahnwachen« lehnen sie allerdings ab. Andere Aktionsfelder von JunepA sind der Protest gegen Braunkohle oder der Rüstungskonzern »Rheinmetall«. Der Prozess um die Besetzung in Büchel wird am 4. Oktober fortgesetzt. Die Angeklagten müssen mit einer Geldstrafe rechnen, nehmen diese aber ganz bewusst in Kauf, sagen die Leute von JunepA.

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