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Falsch verstandener Protest

In Sachen Rassismus spaltet Präsident Trump die US-Amerikaner nun auch beim Sport, den sie am meisten lieben

US-Präsident Donald Trump hat viele Jahre im Fernsehgeschäft verbracht und dabei eine Lektion gelernt: Für gute Quoten muss ständig Neues produziert werden. Langeweile ist Trumps Feind, also sticht er - mal bewusst, mal nicht - in jedes Wespennest, das er findet, so dass er weiter die Aufmerksamkeit genießt. Das letzte Nest - die National Football League (NFL) der Profis im American Football - ist aber ein wenig größer, als er es wohl vermutet hatte, und seine Schutzkleidung ist undicht. »Würdet ihr es nicht gern mal sehen, dass ein NFL-Teambesitzer jemanden feuert, der unsere Flagge nicht respektiert. Nimm den Hurensohn vom Feld!«, hatte Trump seinen fast ausnahmslos weißen Anhängern bei einer Wahlkampfrede in Alabama vor wenigen Tagen zugerufen. Die jubelten, doch in den NFL-Stadien protestierten als Antwort darauf plötzlich sogar noch viel mehr Spieler während der US-Hymne.

Alles hatte vor mehr als einem Jahr mit Colin Kaepernick begonnen. Der Quarterback der San Francisco 49ers kniete lieber als zu stehen, als vor einem NFL-Vorbereitungsspiel wie immer die Hymne gesungen und die US-Flagge präsentiert wurde. Er wollte ein Zeichen gegen die ausufernde Gewalt weißer Polizisten gegenüber unbewaffneten Schwarzen setzen. »Ich kann nicht aufstehen und Stolz vor der Flagge eines Landes zeigen, das schwarze Menschen unterdrückt«, sagte er damals, doch nur wenige schlossen sich Kaepernick an. Viele weiße Fans hingegen verbrannten seine Trikots und drohten ihm. Sie missinterpretierten die Aktion als fehlenden Respekt vor Soldaten, die sich für das Land aufopfern würden.

Kaepernick bekam in diesem Jahr keinen neuen Vertrag. Auch bei keinem anderen Team. Angeblich sei der 29-Jährige Super-Bowl-Teilnehmer von 2012 nicht mehr gut genug. Zu Probetrainings wurde er aber auch kaum noch eingeladen. Offensichtlich hatten die Besitzer - keiner ist schwarz - der 32 NFL-Klubs Angst davor, ihre meist weiße Fanbasis zu erzürnen, sollten sie Kaepernick verpflichten.

Darauf schien sich Trump bei seiner Forderung nun zu verlassen, doch die Besitzer stellten sich am Sonntag in mehreren Statements gegen den Präsidenten. Sogar Trumps Freund Robert Kraft, Besitzer des NFL-Champions New England Patriots, schrieb: »Ich bin tief enttäuscht von den Kommentaren des Präsidenten. Vielmehr bin ich stolz mit so vielen Spielern zusammenzuarbeiten, die unsere Gesellschaft auf und neben dem Spielfeld positiv beeinflussen. Sie bringen Menschen zusammen. Nichts eint in diesem Land mehr als der Sport, und leider teilt nichts mehr als die Politik. Ich unterstütze das Recht der Spieler, sich friedlich für einen sozialen Wandel zu engagieren, in welcher Form auch immer.«

Viele von ihnen taten das dann auch, nicht nur bei den Patriots. Das erste Sonntagspiel fand auf einer NFL-Auslandstour in London statt. Jeweils etwa zehn Spieler der Jacksonville Jaguars und der Baltimore Ravens knieten nun bei der US-Hymne - bei »God Save the Queen« standen sie übrigens wieder auf. Die restlichen Spieler hakten sich unter. In 14 Stadien knieten bis Sonntagabend mehr als 200 Spieler, ähnlich viele blieben auf ihren Bänken sitzen. Weitaus mehr hakten sich unter, darunter Teambesitzer, Trainer und Betreuer. Die Pittsburgh Steelers blieben vor ihrer Partie der Zeremonie fast komplett fern. Ihr Trainer Mike Tomlin erklärte, er wollte eine einheitliche Geste der Mannschaft. Niemand sollte sich neben einem Teamkameraden unwohl fühlen, also blieben alle drin; nur Offensivspieler Alejandro Villanueva, einst Army Ranger stand am Ausgang des Spielertunnels und sang die Hymne mit. Als das Team dann aufs Feld lief, wurde es ausgebuht. Überhaupt waren knieende Fans oder protestierende weiße Spieler nur vereinzelt zu sehen. Zwar sind etwa 70 Prozent der NFL-Spieler Afroamerikaner, auf den Rängen ist Football aber ein weißer Sport.

Beim Spiel der Seattle Seahawks gegen die Tennessee Titans blieben gleich beide Teams in der Kabine, während sich die Sängerin Meghan Linsey und ihr Gitarrist am Ende der Hymne gemeinsam hinknieten. »Wir werden nicht für die Ungerechtigkeit stehen, die Schwarze in diesem Land quält. Aus Liebe zu unserem Land stellen wir uns vereint gegen alle, die uns unsere Grundrechte nehmen wollen«, ließen die Seahawks verlauten.

Die meisten dieser Gesten waren aber weniger ein Protest gegen Polizeigewalt, sondern eher einer gegen Trump und seine die Gesellschaft weiter spaltenden Worte. Der Präsident freilich verstand das ganz anders: »Es war eine großartige Solidarität zu spüren für unser Land und unsere Flagge. Mit eingehakten Armen zu stehen ist gut, zu knien aber inakzeptabel«, reagierte er. Das habe auch alles gar nichts mit Rassismus zu tun.

Alle anderen hatten verstanden, was sie sahen. Befürworter posteten Bilder im Netz, auf denen sie selbst knieten. Auch viele Veteranen unterstützten die Aktion, um das Argument des fehlenden Respekts vor Soldaten zu entkräften. Andere wiesen auf die Ironie hin, dass Schwarzen bei den Ausschreitungen in Ferguson 2014 noch vorgeworfen wurde, gewalttätig geworden zu sein, gewaltfreier Protest nun aber auch verdammt werde. Einige warnten davor, zu sehr auf Trumps Ablenkung zu achten, während er gerade versucht, doch noch das Krankenversicherungsgesetz Obamacare wieder abzuschaffen.

Die Kritiker warfen schwarzen Spielern vor, undankbar zu sein. Wer in der NFL Millionen Dollar verdiene, hätte kein Recht auf Protest während der Arbeit. Der angeblich fehlende Respekt wurde sogleich für die hohe Selbstmordrate unter Veteranen verantwortlich gemacht. Andere erinnerten an Tim Tebow, der von linken Medien dafür kritisiert worden sei, vor Spielen öffentlich zum Gebet zu knien. Dieselben Medien würden nun den Hymnenprotest befürworten. Angeblich hätte Tebow sogar eine Strafe fürs Beten zahlen müssen. Das ist jedoch ebenso ein Fake wie der von Linken verbreitete Tweet von Donald Trump, in dem er 2011 angeblich das Verbrennen der US-Flagge noch als Protestaktion gutgeheißen hatte.

Ansonsten riefen Trumps Anhänger zum Boykott der NFL und ihrer Sponsoren auf - ganz im Sinne ihres Präsidenten: »Wenn Fans nicht mehr zu den Partien gehen, bis die Spieler wieder die Flagge respektieren, werdet ihr schnell eine Veränderung erleben«, hatte Trump am Sonntag getwittert. Ob sich wahre Fans daran halten, ist zwar fraglich. Aber die NFL steht in jedem Fall vor schwierigen Zeiten. Denn auch Linke riefen zum Boykott der Liga und ihrer Geldgeber auf - bis Colin Kaepernick endlich wieder einen Vertrag bekommt.

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