Für viele noch Ostpartei

In Niedersachsen schürt die CDU kräftig Vorurteile gegen die Linkspartei

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 5 Min.

Vor einer Bäckerei in Hannovers Problemviertel Mühlenberg gönnen sich drei Männer einen Kaffee. Ja, der eine Stuhl am Tisch ist noch frei. Sie sind »Hartzer«, müssen gleich mit der nahen U-Bahn zum Jobcenter fahren, weil ihnen das »was aufdrücken will«, erzählt das Trio. Was sie gewählt haben bei der Landtagswahl? »Gar nix«, sagt einer, die anderen stimmen zu. »Da sind wir gar nicht erst hingegangen - die machen ja doch nur, was sie wollen, egal, wer!«

»Die«, das ist die Politik, die nach Ansicht der drei »nix tut« für diejenigen, die hier wohnen. Besser: wohnen müssen, im größten sozialen Brennpunkt der Niedersachsenmetropole. Rund 7500 Menschen leben hier; in Hannover ist es der Stadtteil mit der höchsten Arbeitslosenquote: 17,8 Prozent. Ein beachtliches Wählerpotenzial für die Linkspartei, sollte man denken. Aber erreicht sie dort die sozial Schwachen, von denen viele allem Politischen gleichgültig gegenüberstehen?

Trommelfeuer gegen Links

Einen Teil jener Benachteiligten mag sie durchaus erreicht haben; hat doch die LINKE am Mühlenberg knapp sieben Prozent der Stimmen eingefahren. Landesweit jedoch waren es nur 4,6 Prozent, das reichte nicht fürs Parlament. Blieb es der Linkspartei erneut verschlossen, weil zu viele Menschen in Niedersachsen so denken wie die drei Männer beim Mühlenberg-Bäcker? Eigentlich wären doch gerade dies die Menschen, die aufgrund ihrer sozialen Probleme »anspringen« sollten auf die LINKE mit ihren Zielen wie beispielsweise der Mindestrente von 1050 Euro.

Programmpunkte interessieren jene kaum, die Gespräche zum Thema »Die LINKE« sogleich mit dem Urteil »Ach, das ist doch eine Ostpartei« abblocken. Eine immer noch gar nicht so selten zu hörende Meinung in Niedersachsen. Setzt sie sich schleichend durch beim Wählervolk? Das darf gefragt werden angesichts des verfehlten Ziels in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen - Einzug in den Landtag. Noch 2008 hatte die Linkspartei einen viel beachteten Erfolg erzielt: Mit 7,1 Prozent der Wählerstimmen sicherte sie sich elf Sitze in Hannovers Leineschloss. Fünf Jahre zuvor war sie noch als PDS angetreten, landete bei der Landtagswahl bei nur 0,54 Prozent der Stimmen in den Ergebnisdiagrammen unter »Sonstige«.

Hatte das »S«, der Sozialismus im Parteikürzel, abgeschreckt? Wurde es noch mit SED, mit Ulbricht, Honecker und Mielke assoziiert? Weidlich bemühte sich die politische Gegenseite, solche Gedanken am Leben zu halten. Und Ähnliches tut sie noch immer. So trommelte CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann vor der Wahl nahezu in jedem Interview, jedem Wahlkampfauftritt, das Schlimmste, was den Niedersachsen geschehen könne, sei ein Bündnis von SPD, Grünen und Linkspartei.

Schlimm für die LINKE wiederum war es, dass auch Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) auf Distanz ging und bekundete: Sein Ziel sei es, dass die LINKE nicht in den Landtag kommt. Manche Wählerinnen und Wähler mag eine gleich doppelte Absage, ein Nein der beiden »Großen« zur LINKEN, dazu bewogen haben, ihr die Stimme zu verweigern. Denkbar ist auch, dass Bürgerinnen und Bürger, die sonst der Linkspartei zuneigen, diesmal für die SPD votierten. Aus »Mitleid« mit den Sozialdemokraten wegen ihres miserablen Ergebnisses bei der Bundestagswahl und zugleich mit dem Ziel, Stephan Weil zu stärken und damit eine Regierung unter Althusmann zu verhindern.

Beim Wähler unbekannt

Was sollte die LINKE seinem Gepolter entgegensetzen? Aufzählen, warum sie eben nicht »das Schlimmste« ist für Niedersachsen? Für eine Partei ist es wenig effektvoll zu postulieren, was sie nicht ist und nicht will. Etwa, dass sie nicht die politische Erbschaft der Ära Honecker angetretenen hat, wie es die Konservativen der Wählerschaft in Niedersachsen einbläuen wollen.

Die LINKE präsentierte stattdessen einen umfangreichen Katalog nach dem bewährten Motto »Wir wollen, dass …« Vielleicht zu umfangreich? Allein das Inhaltsverzeichnis des Wahlprogramms umfasste 39 Punkte. Erfahrungsgemäß wollen Bürgerinnen und Bürger vor ihrer Entscheidung vor allem die Kernaussagen einer Partei kennenlernen. Eine solche war bei der LINKEN die soziale Gerechtigkeit. Kommt gut an, aber das reicht nicht. Zum Überzeugen der Wählerschaft gehören auch bekannte Gesichter, die solch ein Ziel durchsetzen. Und da hatte die LINKE das gleiche Handicap wie ihr Widersacher Bernd Althusmann.

Lange hatte er mit mangelnder Popularität zu kämpfen. Oft reagierten die Niedersachsen auf Reporterfragen zu Althusmann: »Wer bitte? Wer ist das, was macht der?« Und ähnliche Reaktionen sind zu vermuten, wird die Frage nach den Spitzenkandidaten der LINKEN im Lande gestellt, nach Anja Stoeck und Hans-Henning Adler. Beide dürften landespolitisch Interessierten als führende Vertreter der Linkspartei bekannt sein. Aber die meisten Niedersachsen verbinden, wie auch anderswo im Westen, die LINKE wohl eher mit Namen wie Sahra Wagenknecht, Gregor Gysi oder Oskar Lafontaine. Allenfalls mit Diether Dehm, weil der Bundestagsabgeordnete aus Niedersachsen auch außerhalb von Wahlkampfzeiten eher mal in den Medien auftaucht.

Wieder fünf Jahre Zeit

Nicht nur ihre »Köpfe«, sondern auch als Ganzes wird die LINKE offenbar verhältnismäßig wenig wahrgenommen in Niedersachsen. Ziemlich schwach ist ihre Präsenz dort in den Medien. Kaum verwunderlich, werden diese doch von ihr nicht gerade üppig mit aktuellen Informationen versorgt. Die Pressestelle der LINKEN im benachbarten Mecklenburg-Vorpommern haut weitaus mehr Informationen raus als die Kollegen in Hannover.

Doch wie jeder Vergleich, so hinkt auch dieser, denn: In MV sitzt die LINKE im Parlament, ist dadurch weitaus mehr ins landespolitische Geschehen eingebunden als die Genossen in Niedersachsen, dürfte finanziell, personell und auch in puncto technischer Ausstattung wesentlich besser ausgestattet sein als die hannoversche Parteizentrale.

Dort und in ihren Gremien hat Niedersachsens LINKE nach ihrem 2003 bei der Landtagswahl erlittenen 3,1-Prozent-Flop nun erneut fünf Jahre Zeit, um zu überlegen, wie das immer noch im Westen wabernde Image »Ostpartei« abgebaut und die Bekanntheit der »Köpfe« ausgebaut werden kann. Nur wenn das gelingt, weicht die Gefahr, dass der Weg ins hannoversche Leineschloss wieder an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert.

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