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Abenteuer Erkenntnis

Richard von Schirach über das exzentrische Leben großer Naturforscher

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.

Naturwissenschaftler gelten gemeinhin als geradlinige, nüchterne und nur der Wahrheit verpflichtete Menschen. Als Stoff für die Boulevardpresse taugt ihr Leben normalerweise nicht. Es sei denn, sie sind berühmt und führen etwa ein skandalträchtiges Eheleben wie vor Jahren der britische Physiker Stephen Hawking.

• Richard von Schirach: Der Mann, der die Erde wog. Geschichten von Menschen, deren Entdeckungen die Welt veränderten.
C. Bertelsmann Verlag, 416 S., geb., 22 €.

In der Geschichte findet man indes viele Gelehrte, darunter auch Naturforscher, in deren Leben sich viel Absonderliches ereignete. Manches bietet im Rückblick Anlass zum Schmunzeln, anderes macht betroffen. In seinem Buch »Der Mann, der die Erde wog« stellt der Schriftsteller Richard von Schirach eine Reihe von Wissenschaftlern vor, die trotz und häufig auch wegen ihrer charakterlichen Eigenheiten zu genialen Leistungen fähig waren.

Der Bogen der Darstellung spannt sich dabei über die letzten drei Jahrhunderte. Am Anfang steht Henry Cavendish, ein exzentrischer britischer Naturforscher, der 1766 das Element Wasserstoff entdeckte und dem es erstmals gelang, die mittlere Dichte der Erde zu bestimmen. Das letzte Kapitel ist Robert Oppenheimer, dem Vater der US-Atombombe, gewidmet. Dessen Arroganz war legendär. »Meine Seele ist durch diesen Mann beinahe zerstört worden«, erinnerte sich Max Born, Oppenheimers Lehrer in Göttingen. Musste Oppenheimer zu einer Prüfung antreten, war es häufig der Prüfer, der davor die größeren Manschetten hatte.

Weitere Protagonisten des Buches sind: Julius Robert Mayer, der Entdecker des Energieerhaltungssatzes, Albert Abraham Michelson, dessen Experiment zu den wichtigsten Stützen der Relativitätstheorie gehört, und Lew Landau, ein sowjetischer Physiker, der sich gegen Stalin auflehnte und mit einer relativ geringen Strafe davonkam. Später erhielt er den Nobelpreis.

Nicht anders als tragisch kann man das persönliche Schicksal von Max Planck bezeichnen. Der Begründer der Quantentheorie hatte aus erster Ehe vier Kinder. Sein ältester Sohn Karl fiel im Ersten Weltkrieg. Seine Zwillingstöchter Grete und Emma starben jeweils kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes im Wochenbett. 1944 wurde sein zweiter Sohn Erwin im Zuge des Attentats auf Hitler verhaftet und zum Tode verurteilt. Der damals 86-jährige Max Planck versuchte alles, um seinen Sohn zu retten. Er schrieb sogar ein Gnadengesuch an Hitler. Ohne Erfolg. Anfang 1945 wurde Erwin Planck in Berlin-Plötzensee gehenkt.

Ungewöhnlich turbulent verlief das Leben des deutschen Physikers Fritz Houtermans. Als Kommunist floh er 1933 aus Deutschland und emigrierte schließlich in die Sowjetunion. Dort geriet er in die Mühlen der Stalinschen Säuberungen und verbrachte zwei Jahre in den Gefängnissen des NKWD, wo er fast zu einem Skelett abmagerte. 1940 wurde er im Rahmen des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts an die Gestapo ausgeliefert und erneut inhaftiert. Erst auf Vermittlung von Nobelpreisträger Max von Laue kam er frei und erhielt eine Stelle im Privatinstitut von Manfred von Ardenne.

Hat man angefangen, Schirachs Buch zu lesen, kann man kaum aufhören, denn der Autor versteht es, Geschichte informativ und spannend zu erzählen. Dass ihm dabei ein paar sachliche Fehler unterlaufen sind, ist bei der Fülle der behandelten Themen nicht verwunderlich. So heißt es auf Seite 59, Max Planck habe im Jahr 1900 postuliert, dass Licht aus kleinsten Teilchen bestehe. Dies tat Albert Einstein jedoch erst 1905. Newton firmiert fälschlich als Verfechter der Wellentheorie des Lichts (S. 215). Und auch Schirachs Deutung des Entropiesatzes, wonach »alle Vorgänge unweigerlich vom Einfachen zum Komplexen fortschreiten« (S. 168), ist so nicht haltbar. All dies schmälert den Wert des Buches jedoch nicht. Es gehört aus meiner Sicht zu den besten populären Darstellungen, die in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Wissenschaftsgeschichte verfasst wurden.

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