Wie makellos muss man sein?

Die Macher der Hall of Fame diskutieren über Kriterien. Es geht mal wieder um Täve Schur

Vielleicht war es dem Bundespräsidenten gar nicht aufgefallen. Frank-Walter Steinmeier hat ja derzeit auch über viel wichtigere Dinge nachzudenken als über die Ruhmeshalle des deutschen Sports. Dennoch war der Schirmherr der Deutschen Sporthilfe, die ein Träger jener sogenannten Hall of Fame ist, zum Forum »Werte des Sports« in Berlin gekommen, um eine Rede zu halten und sich mehr oder weniger unterhaltsame Debattenbeiträge anzuhören. Allen anderen im Saal aber war klar, welcher Name über der ganzen Veranstaltung am Donnerstag hing, ohne dass er einmal auf der Bühne ausgesprochen wurde: Gustav-Adolf »Täve« Schur.

Der DDR-Radsportlegende war in diesem Frühjahr zum zweiten Mal der Zugang zur Hall of Fame bei einer Juryabstimmung verwehrt worden. Ihm wurde dabei offenbar vor allem zum Verhängnis, sich in den Augen seiner Gegner nicht genügend von der DDR und dem dort praktizierten Dopingsystem distanziert zu haben. Die Träger der Ruhmeshalle - Sporthilfe, Sportjournalistenverband und Deutscher Olympischer Sportbund - nahmen dies zum Anlass, mal darüber zu diskutieren, was ein Athlet denn verkörpern müsse, um wählbar zu sein, schließlich hatten ihn alle drei nominiert, waren dann aber abgewatscht worden.

Der Sporthilfe-Vorsitzende Michael Illgner stellte nun auf dem Forum die Ergebnisse vor, wie gesagt, ohne Schurs Namen zu erwähnen. Demnach sei es schon immer wichtig gewesen, »dass die Mitglieder der Hall of Fame mehr sein sollten als Olympiasieger, Welt- oder Europameister. Sie sollen auch für vorbildhaftes Verhalten stehen«. Aber: »Legen wir den Athleten nicht eine große Bürde auf? Sie dürften sich dann keinerlei Verfehlungen leisten. Würden sie so nicht eher zum makellosen Übermenschen und damit zum unerreichbaren Superhelden?«, fragte Illgner.

Natürlich lieferte er sogleich die passenden Antworten mit: Künftig werde weiter modellhaftes Handeln vorausgesetzt, man »schließt aber auch Verfehlungen nicht aus, sofern diese korrigiert, reflektiert und verarbeitet worden sind.« Neue Kandidaten sollten sich zudem auf alle Fälle »zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung« bekennen und »gegen Sportbetrug und Doping« einstehen. Zudem müssten sie »klare Haltung zur eigenen Vergangenheit zeigen, gegebenenfalls kombiniert mit der Reflexion zu in der Vergangenheit gemachten Verfehlungen«. Wie genau das aussehen soll, sagte Illgner freilich nicht. Auch nicht, ob Schur diese Voraussetzungen denn nun erfülle oder nicht.

Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbands, ist sich darüber längst sicher: »Täve Schur gehört da rein. Sonst bleibt ein Loch in der deutsch-deutschen Sportgeschichte.« Beucher ist einer der wenigen gebürtigen Westdeutschen, die sich offen für eine Aufnahme Schurs einsetzen. »Die Aussagen hier haben doch die Blaupause dafür geliefert«, sagte er im Anschluss an das Forum gegenüber dem »nd«.

Karin Büttner-Janz, Ex-Turnerin und Olympiasiegerin für die DDR, ist schon 2011 in die Hall of Fame aufgenommen worden. Sie hätte sich »gefreut, wenn Täve in die Hall of Fame kommt«. Offensichtlich hatte sie damals für ihn gestimmt, denn »Täve ist eine Einmaligkeit: die hohe sportliche Leistung, die breite Akzeptanz in der Bevölkerung, auch die Verkörperung und das Leben von Werten«, begründet sie ihren Entschluss. »Dann gibt es aber auch den Konflikt mit anderen, der offensichtlich unlösbar ist. Es gab leider eine Mehrheit gegen ihn. Das ist in erster Linie ein Politikum und keine Sache des Sports«, so Büttner-Janz.

Eiskunstlaufstar Katarina Witt hatte Schur ebenfalls gewählt: »Für mich gab es da gar keine Diskussion, denn natürlich war er auch für mich als Kind der DDR ein großes Vorbild und ein Held. Wir haben damals alle die Friedensfahrt verfolgt«, erzählte Witt dem »nd«. Sie begrüßte zugleich das Bekenntnis der Träger, »dass wir keine Supermänner und Superfrauen wollen, die abgehoben sind. Sportler sind nicht ohne Fehl und Tadel. Auch ihre Schwächen machen sie stark und zum Vorbild.« Wichtig sei, dass man zu Fehlern stehe und sie eingestehe.

Ob Schur dies vermissen ließ, sagte die zweifache Olympiasiegerin nicht. Dennoch blieb auch sie klar bei der Meinung, dass Schur in die Hall of Fame gehöre. »Es ist immer schwer, eine Biografie, egal ob West oder Ost, von der anderen Seite zu bewerten, wenn man nicht da gelebt hat und nicht dieses unmittelbare Umfeld hatte. Jemandem dann zu sagen, da habe er richtig oder falsch gehandelt, finde ich nicht in Ordnung. Irgendwann, auch nach so langer Zeit, gehört auch eine gewisse Großzügigkeit dazu. Dann muss man auch mal akzeptieren, dass es eine andere Zeit war, und nicht immer weiter hadern und versuchen, jemanden in eine andere Richtung zu drängen.«

Schur selbst war nicht bei dem Forum. Er ist ja auch kein Mitglied der Hall of Fame wie Witt oder Büttner-Janz. Nach dem zweiten gescheiterten Anlauf hatte er ohnehin dem »nd« gegenüber gesagt, nun auch gar nicht mehr hinein zu wollen. In diesem Fall dürfte er mit dem Bundespräsidenten auch mal einer Meinung sein: Es gibt Wichtigeres.

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