Leben zeigen, nicht bloß Können

Dem Maler, Grafiker und Schriftsteller Joachim John zum 85. Geburtstag

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 3 Min.

Komisch, der junge John wollte eigentlich Schauspieler werden. Dazu sprach er in Leipzig vor. Die Theaterhochschule nahm ihn auch an, aber er hielt bloß fünf Monate durch. Zuvor hatte er sich als Requisiteur an der Dresdner Operettenbühne verdingt. Nichts direkt Brauchbares. Aber beides weist auf den zukünftigen Künstler John.

Im sächsischen Depot lernte er noch nie gesehene Interieurs kennen. Was auf seinen Blättern alles rumliegt - Sammler sollten das mal registrieren -, dürfte zu einem Gutteil auf diese frühe Zeit zurückgehen. Das Schauspiel als beredte Ausdrucksform geht in ganze Serien seiner Zeichnungen ein. Beispiel: die 42 ausgewählten Zeichnungen zu Machiavellis Renaissance-Komödie »Mandragola«, Feder, Tusche laviert, von 1995/96. Theater fesselte ihn auch 1989. Für das Foyer in Schwerin, wo Christoph Schroth Intendant war, schuf er, auf hohen Leitern stehend, anlässlich des 200. Jahrestags der Französischen Revolution ein Riesenfresko mit Generalissimus Stalin inmitten einer Schar stirnrunzelnder historischer Figuren.

Stark erlebte John die Kunst Ernst Schröders. Von ihm, den Einpeitscher des »sozialistischen Realismus« 1958 außer Landes ekelten (er ging nach Hamburg und verfiel dem Alkohol), lernte John, inegale Perspektiven von Booten, Fischernetzen, Katen, Fluss- und Meereslandschaften zu erkennen und individuell zu gebrauchen. John wollte und will Leben zeigen, nicht bloß sein Können. Prall muss es sein, sinnlich, erotisch, angefüllt mit den Gewächsen und Wucherungen der Zeit. Apostel einer »reinen Kunst« war er nie. Seine Bilder erzählen, häufig in kleinen Formaten, Unglaubliches, auch Großes auf fahlen weißen Blättern mit Strichen und Punkten. Später erwuchsen daraus Farben und Formen, die polyphonen Strukturen der Musik nachgebildet scheinen.

Joachim John lebt seit 40 Jahren mit seiner Frau in Neu Frauenmark, einem winzigen Dorf bei Schwerin. Geboren wurde er in Böhmen und lebte, lernte, arbeitete lange Jahre in Berlin, wo er recht eigentlich bekannt wurde, zunächst als Zeichner, der sich glänzend entwickelte. Später betätigte sich der Meisterschüler von Hans Theo Richter auch als Schriftsteller. John, zu jung, um noch eingezogen zu werden, erlebte gleichwohl wachen Auges den Krieg. »Karol durch den Dornwald ging« und sein Selbstporträt »Bube John«, beides kunstvolle Prosaarbeiten, erzählen davon. Bedrückend die Situation für den Jungen, mit anzusehen, wie abgezehrte, zerlumpte, blutende Rotarmisten schweigend durch sein Dorf liefen und kein Jubel auf die Befreier sich erhob. John ist ein phantastischer Erzähler, auf Blättern wie in Büchern, auf der Couch sitzend und leise plaudernd wie ebenso beim Tee auf der Terrasse vor dem Kirschbaum.

Zeichnungen gibt es unzählige von ihm, aber die Zahl derer, die sich dafür interessieren, schwindet, obwohl bei jeder Arbeit ein Meister den Stift geführt hat. Das kann sich ändern. Je lädierter die Welt, desto mehr Zukunft häuft sie auf. Irgendwann geht das Alte zu Bruch. Unzählige Bruchstücke fliegen schon herum. Teilchen davon hat Johns Kunst aufgefangen. Vital, ungebärdig sein stilles, kräftiges Werk. Einige Blätter falten Landschaften so auf, dass sie wie Gewitter wirken. Bloß Beschauliches wollte und will John nicht machen. Ein Credo, das die Zukunft für sich hat, und sei es auch, eine bessere brauche noch eine lange Zeit. An diesem Sonnabend feiert Joachim John seinen 85. Geburtstag.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal