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  • 55 Jahre Élysée-Vertrag

Zuhören schadet nie

Dietmar Bartsch über länderübergreifende linke Kompetenz und irrationale Ausgrenzungen

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 6 Min.

Der Bundestag würdigt 55 Jahre Élysée-Vertrag. Die LINKE wurde an dem interfraktionellen Antrag nicht beteiligt. Das kritisiert sie. Zugleich übt sie an diesem Antrag grundsätzliche Kritik. Warum dann die Aufregung über die Ausgrenzung?

Deshalb, weil es bei so einem wichtigen, die Zukunft Europas betreffenden Projekt vernünftig gewesen wäre, wenn sich die demokratischen Parteien um eine gemeinsame Erklärung bemühen. Wir kritisieren, dass es von insbesondere einer Fraktion, der Union, den ständigen Versuch gibt, die LINKE auszuklammern - das geschieht sogar, wenn es um die Terroropfer vom Berliner Breitscheidtplatz geht. Für die Erklärung zum Élysée-Vertrag gilt das leider auch. Es ist völlig unangemessen, die LINKE hier auszuschließen.

Dietmar Bartsch

Dietmar Bartsch ist neben Sahra Wagenknecht Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Bundestag. Über das Für und Wider des Élysée-Vertrages, die gemeinsame Erklärung mit Jean-Luc-Mélenchon sowie undifferenzierte Ausgrenzungspraktiken im Bundestag sprach mit ihm für »nd« Uwe Kalbe.

Sie hätten sich gewünscht unter einem Antrag zu stehen, den Sie als Teil einer falschen Politik kritisieren?

Wenn wir eingebunden gewesen wären, würde der Antrag sicher anders aussehen. Meine Fraktion lehnt den Antrag nicht rundheraus ab. Da gibt es durchaus Einiges, was wir unterschreiben können. Anträge, die von allen demokratischen Fraktionen getragen werden, sind naturgemäß komplizierter zu formulieren. Aber bei so großen Fragen wie der deutsch-französischen Zusammenarbeit sollte man den Versuch machen, nicht zu spalten, sondern zu vereinen.

Konsens wäre denkbar gewesen?

Wenn wir uns beteiligen, bemühen wir uns immer um Konstruktivität und Konsens. Der Vertrag, der ein Vertrag der Bundesrepublik mit Frankreich war, war anfangs selbst schwer umstritten, auch seine »Väter«, Adenauer und de Gaulle, waren nicht vollends zufrieden mit ihm. Das Ziel aber - Völkerfreundschaft als Antwort auf die nationalistische Katastrophe der beiden Weltkriege - muss man zur Kenntnis nehmen, respektieren, anerkennen. Auch die LINKE tut das.

Die LINKE hat deshalb einen eigenen Antrag formuliert - eine Art Minderheitenvotum der Fraktion. Klar war, dass Sie bei der Mehrheit des Hauses keine Zustimmung dafür erhalten würden. Was für Unvereinbarkeit spricht.

Natürlich können wir nicht schweigen, wenn die neue deutsch-französische Zusammenarbeit auf die Kürzung von Löhnen, Renten und öffentlichen Investitionen hinausläuft, auf Aufrüstung und für die Eurozone auf Finanzspritzen für Strukturreformen zu Lasten der Ärmsten.

In einer gemeinsamen Erklärung haben Sie diese Positionen der LINKEN zum deutsch-französischen Verhältnis noch genauer ausgeführt. Unterschrieben wurde sie von Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch und Jean-Luc Mélenchon. Das Manifest einer neuen linken Sammlungsbewegung?

Quatsch. Überhaupt nicht. Es handelt sich um unsere gemeinsame Erklärung zu diesem großen historischen Ereignis, dem Jubiläum des Élysée-Vertrages. Mit einer Sammlungsbewegung hat das nichts zu tun.

Nach den Debatten, die Oskar Lafontaine mit dieser Idee einer Sammlungsbewegung ausgelöst hat, könnte man entsprechende Schlüsse ziehen.

Das ist weder von mir so gedacht noch von Sahra Wagenknecht oder Jean-Luc Mélenchon.

Dass Sahra Wagenknecht und Sie am Montag nach Paris gereist sind und die Fraktion von Jean-Luc Mélenchon besuchten, hat damit auch nichts zu tun?

Nein. Als Teil einer Delegation des Bundestages reisen mehrere Abgeordnete auch unserer Fraktion nach Paris, um an der Sitzung der Nationalversammlung teilzunehmen. Wie umgekehrt französische Abgeordnete unsere Gäste sein werden. Wir sprechen in Berlin und Paris mit Abgeordneten beider Linksfraktionen.

Das Verhältnis unter französischen Linken ist ähnlich schwierig wie zwischen deutschen. Welche Vorlieben haben Sie, was die Linke im französischen Parlament betrifft?

Wir sind selbstverständlich mit beiden Fraktionen in der Nationalversammlung verbunden. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Debatten der französischen Linken zu bewerten. Die politische Linke in Europa sollte keinesfalls über Spaltungen und Selektion nachdenken. Angesichts des Kulturkampfes von Rechts und des Vormarschs rechter Parteien ist es unsere Aufgabe, Gemeinsamkeiten voranzustellen und Erfolg zu organisieren. Da können wir vielleicht von Mélenchon lernen. Zuhören schadet nie. Wichtig ist vor allem, linke Kompetenz zusammenzuführen.

Jüngste Kontroversen lassen befürchten, dass die LINKE beim Zusammenführen Schwächen hat.

Alle, die von außen über unsere Kontroversen befinden, sollten eines nicht außer acht lassen: Bei der Bundestagswahl haben wir das historisch zweitbeste Ergebnis einer Partei links von der SPD seit 1949 erreicht, nach 2009. Wenn die LINKE kontrovers über die Zukunftsfragen diskutiert, sehe ich das als einen Vorzug. Ich war schon einmal in einer Partei, in der kaum diskutiert wurde, deren Ende kennen wir.

Werden die Linken in der französischen Nationalversammlung wie die im Bundestag ausgegrenzt?

Nach meinem Kenntnisstand stehen auch die beiden Fraktionen der französischen Linken nicht unter dem parallelen interfraktionellen Beschluss der Assemblée nationale.

Vorrang der Lohn, Sozial- und Umweltstandards vor dem freien Binnenmarkt, Abrüstungsinitiativen oder strategische Investitionen der nationalen Banken für Forschung, Bildung und Klima - das alles steht in dem gemeinsamen linken Papier. Für solche rigorosen Ziele braucht es die Sammlung aller Kräfte, oder?

Die Stärkung der Linken ist unsere Aufgabe. Jede Idee für eine Stärkung ist willkommen. Die Gremien meiner Partei werden immer prüfen, wie die besten Ideen umgesetzt werden können. Ich werde aber nicht jede Idee und jeden Gedanken über die Linke in Europa auf ihre Verwechselbarkeit mit der Idee einer neuen Sammlungsbewegung prüfen. Das gilt auch für unsere Erklärung zum 55. Jahrestag des Élysée-Vertrags. Diese setzt sich mit der Situation in Europa und mit linken Antworten und Perspektiven auseinander.

Die LINKE teilt im neuen Bundestag immer wieder das Los der AfD; von interfraktionellen Anträgen ausgeschlossen zu werden. Die aktuelle Sitzung zum Élysée-Vertrag war ein Beispiel ebenso wie der Antisemitismusantrag in der letzten Woche. Wie geht die LINKE damit um?

Wir teilen kein Los mit der AfD und ich akzeptiere keine Gleichsetzung mit dieser Partei. Die AfD ist eine rechtspopulistische, teils rechtsradikale und teils antisemitische Formation. Die LINKE steht auf dem Boden des Grundgesetzes, teilt die Regierungspolitik der letzten Jahre und auch die einer mutmaßlichen neuen schwarz-roten Koalition ausdrücklich nicht. Allerdings zeigt die Praxis, dass es im Bundestag differenzierter zugeht. So ist die Vizepräsidentin des Bundestages aus unserer Fraktion, Petra Pau, zurecht mit einer überzeugenden Mehrheit gewählt worden, die AfD hat einen Kandidaten aufgestellt, der für die Demokraten im Bundestag nicht wählbar ist. Wir stellen uns allen Versuchen vor allem aus der Union entgegen, uns unter dem billigen Vorwand auszugrenzen, sogenannten radikalen Rändern anzugehören. Das ist absurd für eine Partei, die erfolgreich in drei Bundesländern regiert, die Oberbürgermeister und Landräte stellt und unter Beweis gestellt hat, dass sie das Land und Europa voranbringen kann. Vor allem von der SPD, FDP und den Grünen erwarte ich zukünftig, dass sie sich solchen irrationalen Ausgrenzungen verweigern.

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