Skandal in der Oper

Von Musikern, Emigranten und einem Feldzug gegen die Dekadenz

  • Lesedauer: 3 Min.

Er wurde als Sohn eines Kleinhändlers in Norddeutschland geboren. Musik spielte in der Familie traditionell eine große Rolle. Schon sein Urgroßvater und sein Großvater hatten sich als Kantoren in der deutsch-israelitischen Gemeinde in Hamburg einen Namen gemacht. Und so kam auch er früh mit der Welt der Musik in Berührung. »Man rühmte mir nach, im Alter von drei Jahren den Prolog aus der Oper ›Bajazzo‹ gesungen zu haben«, schrieb er später. »Ich wurde mit Schuberts Liedern und Wagners Arien groß und wollte auch Sänger werden.«

Dann jedoch erhielt er eine Violine und ging mit sechs Jahren zum Geigenunterricht. Als er elf war, stand er erstmals auf der Bühne, vier Jahre später gab er sein erstes eigenes Konzert. Seine vielversprechende Solistenlaufbahn endete, als man bei ihm eine Schwäche der linken Hand feststellte. Er nahm deshalb an einem Berliner Konservatorium ein Studium auf und erhielt nach dessen Abschluss eine Stelle als Korrepetitor am Hamburger Stadttheater, wo er unter anderem mit Giacomo Puccini und Enrico Caruso zusammentraf. Bereits im Jahr darauf wurde er Zweiter Kapellmeister am Tivoli-Theater in Bremen. Dann brach der Erste Weltkrieg aus. Er kam an die Westfront, wo er die »Schreckensherrschaft des entfesselten Militarismus« kennenlernte und fortan jeglichen Drill verabscheute. Später diente er in einer Militärkapelle in Schleswig-Holstein. Nach Ende des Krieges arbeitete er zunächst als Kapellmeister in Hamburg, anschließend dehnte er sein Wirkungsfeld auch auf andere deutsche Städte aus. In Berlin wurde er Dirigent an der Städtischen Oper. Doch diese Tätigkeit genügte ihm nicht. Er wandte sich deshalb wieder mehr dem Komponieren zu. Mit Erfolg: Für sein Concertino für Violine erhielt er den Preis eines Musikverlages.

Außerdem arbeitete er als Komponist für den Tonfilm und schrieb einige berühmte experimentelle Filmmusiken. Während dieser Zeit lernte er Bertolt Brecht kennen und nahm Kontakt zur Arbeitersängerbewegung auf, für die er Kantaten und Lehrstücke verfasste. Nach der Machtübernahme der Nazis emigrierte er nach Paris, später nach New York, wo er seinen Unterhalt als Musiklehrer und Notenkopierer verdiente. Schließlich siedelte er nach Los Angeles über. Er schrieb die Musik für zahlreiche Hollywood-Produktionen und arbeitete eng mit Brecht zusammen. Zuletzt verfasste er die Bühnenmusik zum Stück »Der gute Mensch von Sezuan«.

Drei Jahre nach Kriegsende kehrte er zurück nach Deutschland und ließ sich in Ostberlin nieder. Hier setzte er seine Zusammenarbeit mit Brecht fort und beteiligte sich am Aufbau des Kulturlebens in der DDR. Er wurde in die Deutsche Akademie der Künste aufgenommen und für fünf Jahre zu deren Vizepräsidenten gewählt. Als er jedoch daran ging, das Libretto zu einem Brecht-Hörspiel zu vertonen, geriet er in Konflikt mit der Staatsmacht. Nach der Probeaufführung der Oper in Berlin, bei der zahlreiche bestellte Zuhörer anwesend waren, wurde seine Musik als »volksfremd und formalistisch« attackiert. Es folgte die erste große kulturpolitische Debatte im Osten Deutschlands, die das Ziel verfolgte, die DDR-Kunst vom »westlich-dekadenten Kulturbetrieb« abzugrenzen. Nachdem Brecht den Text und er die Musik der Oper umgearbeitet hatten, wurde das Werk an der Berliner Staatsoper uraufgeführt. Danach durfte es fünf Jahre nicht in der DDR gespielt werden.

Anlässlich der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Berlin komponierte der von uns Gesuchte eine Kantate für die FDJ. Außerdem schrieb er Lieder nach Texten von Johannes R. Becher, Heiner Müller, Pablo Neruda und Walter Ulbricht. Obwohl er nie an der Notwendigkeit des Sozialismus zweifelte, hielt er bis zuletzt eine kritische Distanz zur offiziellen Parteipolitik. Er starb mit 84 Jahren in Königs Wusterhausen und wurde wunschgemäß ohne Staatsbegräbnis bestattet. Wer war’s?

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