Verfassungsschutz sieht rot

Neue Informationsbroschüre zu Linksradikalismus erschienen - Kongress Mitte Dezember

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.
Innensenator Frank Henkel (CDU) hat als Schwerpunkt der Behörden die Bekämpfung des Linksradikalismus ausgegeben - der Verfassungsschutz flankiert das mit Veranstaltungen und Texten.

Rechtsextreme demonstrieren täglich gegen Flüchtlingsunterkünfte. Im Umfeld der Aufmärsche gibt es fremdenfeindliche Anschläge. Zugleich sammeln Sympathisanten und Anhänger des Islamischen Staates Geld und Ausrüstung. Viel zu tun für den Verfassungsschutz, diese Phänomene zu beobachten, möchte man meinen. Doch der diesjährige Schwerpunkt der Öffentlichkeitsarbeit lautet: »Linksextremismus«. Zu diesem Thema veröffentlicht der Nachrichtendienst Publikationen und er organisiert einen Kongress, der am 17. Dezember im Technikmuseum stattfinden soll. Am vergangenen Freitag erschien in diesem Zusammenhang erstmals eine Informationsbroschüre zum »Linksextremismus«.

Der politisch verantwortliche Innensenator Frank Henkel (CDU), der den Kampf gegen Linksradikale in Berlin zum Schwerpunkt erklärt hat, sieht in der Schrift »eine sehr gute Informationsgrundlage«. »Besonders in diesem Extremismusfeld ist es wichtig, die unterschiedlichen Strömungen und Hintergründe, sowie historischen Wurzeln zu kennen«, sagt Henkel. Der Innensenator fordert: »Wir brauchen in dieser Stadt viel stärker als bislang ein Klima der Ächtung jeglicher Gewalt.« Dafür sollten alle politisch Verantwortlichen ein Zeichen setzen. »Anschläge - sei es auf Wohnprojekte, Baustellen oder Kraftfahrzeuge sind kriminell und kein Ausdruck politischen Handelns«, betont Henkel. Die von der Polizei registrierten »Politisch links motivierten Gewalttaten« nahmen von 209 (2012) auf 276 (2013) zu.

In der 68-seitigen Broschüre des Verfassungsschutzes geht es allerdings eher am Rande um Militanz und gewalttätige Aktionen. Zur aktuellen Lage kommen die Autoren des Textes überhaupt erst im letzten Drittel der Schrift. Bis dahin geht es vornehmlich um die Geschichte der linken Bewegung an sich: Von den Ursprüngen der Französischen Revolution über die marxistische Theorie bis hin zur Ausbildung kommunistischer und anarchistischer Gruppierungen und Parteien. Weiter gehts auf Schmalspurniveau über »Leninismus«, »Stalinismus«, »Trotzkismus«, »Maoismus«, »Außerparlamentarische Opposition«, »DKP«, »K-Gruppen«, »RAF«, »Autonome«, bis hin zu »Hausbesetzern« - also alles was irgendwie rot war.

Doch was hat das alles mit dem Jahr 2014 und dem gesetzlichen Auftrag des Verfassungsschutzes zu tun, Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beobachten? Immerhin sind K-Gruppen längst genauso Geschichte wie die »Rote Armee Fraktion«. Das räumt indes auch der Nachrichtendienst ein: »Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung geht in Berlin nicht von orthodox-kommunistischen Parteien und Organisationen aus, sondern von undogmatischen militanten Linksextremisten.« Aus Sicht der Schlapphüte sind das entweder »traditionelle Autonome mit ihren martialischen ›Schwarzen Blöcken‹« sowie - immer häufiger - »so genannte Postautonome«. Die wirken »vordergründig ziviler« und »moderat« - wirken jedoch »im Hintergrund als Anstoßgeber«.

Das führt zur Krücke, aus der der Verfassungsschutz die Legitimation seiner Beobachtungen ableitet: »Mehr noch als in der Anwendung von Gewalt liegt die eigentliche Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung darin, dass es einem modernisierten Linksextremismus gelingt, objektive soziale Problemlagen zu instrumentalisieren und legitimen gesellschaftlichen Protest damit letztlich zu diskreditieren.« Verkürzt heißt das, der Nachrichtendienst sieht bei Protesten gegen Rechtsextreme, Gentrifizierung oder für Flüchtlinge linksradikale Strippenzieher am Werk. Wie fragwürdig diese Sichtweise ist, zeigt schon das Beispiel Oranienplatz. Auch hier soll es »Linksextremisten« gelungen sein, die »Anliegen der Flüchtlinge sukzessive zu vereinnahmen« - als wenn die selbstbewussten Flüchtlinge sich so etwas gefallen lassen hätten.

Die Schlussfolgerung aus der Ausrichtung des Verfassungsschutzes wiegt derweil schwer: Denn ins Blickfeld geraten jetzt vermehrt wohl auch solche, denen »man ihr ›Autonom-Sein‹« nicht ansieht. Dass hierbei berechtigter gesellschaftlicher Protest ausgespäht wird, weist der Verfassungsschutz empört zurück. »Sehr präzise« werden »extremistische« und »nicht-extremistische Akteure« auseinandergehalten. Ob das in der Praxis so sauber geht? Daran hat der Verfassungsschutz offenbar selbst Zweifel: »Der Grat zwischen legitimen gesellschaftlichen Protest und dem militanten Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ist an einigen Stellen sehr schmal«, heißt es in der Broschüre, die auf der Homepage des Verfassungsschutzes heruntergeladen werden kann.

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