Ohne Freiheit keine Einheit

Das Tagebuch des Buchdruckergesellen Friedrich Anton Püschmann von 1848 bis 1856

  • Walter Schmidt
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach seiner Erklärung zum Gesellen begab sich der aus einer Lehrerfamilie stammende, geistig ausgesprochen rege Buchdrucker Friedrich Anton Püschmann auf die Wanderschaft, auf der es ihm nur selten gelang, wenigstens zeitweilig in »Condition« zu kommen, eine Arbeitsmöglichkeit zu erhalten. Dann bricht ein historisches Großereignis in sein Leben ein - die Revolution.


Matthias John (Hg.): Das Tagebuch des Buchdruckerlehrlings Friedrich Anton Püschmann während der Revolution von 1848/49 und der Restaurationsepoche von 1850 bis 1856.
3 Bände. Trafo Verlag. 1119 S., geb., 112 €.


Sein erstes großes Erlebnis ist die Aufhebung der Zensur, die er als Buchdrucker mit seinen Kollegen ausgiebig zu feiern weiß. Auch bringt er sich, anfangs recht maßvoll, in die von den Buchdruckern in Leipzig betriebenen Bemühungen um Organisation und eine Verbesserung ihrer sozialen Lage ein. In seinem Tagebuch berichtet er zunächst über die revolutionären Vorgänge, die Februarrevolution in Paris und die Märzerhebungen in Wien und Berlin, vor allem die Ereignisse in Leipzig und Dresden, fast distanzlos. Dann aber beginnt er sich mit den Diskussionen in den politischen Vereinen wie in der Presse auseinanderzusetzen, neigt zunächst liberalen Positionen zu und verknüpft diese mit einem naiven Monarchismus, den er mit dem sächsischen König assoziiert. Eine konstitutionelle Monarchie scheint ihm hinreichend. Mit der Republik kann er sich nicht anfreunden.

Die Eröffnung des Nationalparlaments in Frankfurt am Main preist er hingegen geradezu überschwänglich; er besucht im August eine seiner Sitzungen, als gerade über die Trennung von Staat und Kirche debattiert wird.Der Vormarsch der Konterrevolution seit Herbst 1848 lässt ihn schließlich über die daraus erwachsenen Gefahren für die Märzerrungenschaften nachdenken und führt ihn zu demokratischen Positionen. Für die Ermordung des von ihm hochverehrten Robert Blum, den er einen »Märtyrer der Freiheit« nennt und dessen Schicksal er mit Andreas Hofer vergleicht, klagt er den »Bluthund Windischgrätz« und dessen »Schreckensherrschaft« in Wien an. Den Novemberstaatsstreich von Friedrich Wilhelm IV. im preußischen Berlin, das ihm, dem Sachsen, nicht gerade sympathisch ist, verurteilt er gleichwohl als Wiederkehr des alten Absolutismus und bedauert, dass das Volk die preußische Vereinbarerversammlung im Stich ließ.

Stand er schon für die Kämpfe der Freischärler in Schleswig-Holstein, so bekennt er sich in der Reichsverfassungskampagne im Frühjahr 1849 offen zu den Aufständischen. Den Dresdner Aufstand sieht er nur durch das Eingreifen Preußens gescheitert. Er leidet mit den in Rastatt Hingemordeten und mit den nur infolge russischer Invasion geschlagenen und gleichermaßen dem Standrecht ausgelieferten Ungarn. Hier würde der Schlussstein gelegt »zur Begräbnisfeier der Märzerrungenschaften von 1848«. Die alten Mächte hätten mit ihrem Sieg über die Revolution zur »erneuten Knechtung des Volkes« geführt. Das Volk sei um Freiheit und Einheit betrogen worden. »Und der deutsche Michel zieht seine schweißtriefende Schlafmütze wieder über den Kopf, denn er will nicht sehen.« Für ihn unwiderruflich fest aber steht das Wort: »Ohne Einheit keine Freiheit, ohne Freiheit keine Einheit.«

Mit der Niederlage der Revolution endet auch die erstaunlich klare geistig-politische Entwicklung des Mannes zu einem politisch bewussten, allerdings nicht praktisch aktiven Demokraten. Letztmalig befasst er sich politisch mit dem 18. Brumaire des Louis Napoleon in Frankreich. In seinen Hoffnungen enttäuscht, tritt die Politik in seinen Aufzeichnungen ganz zurück, es dominieren nun Glaubensfragen.

Der Buchdruckergeselle verlässt Mitte der 1850er Jahre seine Profession, die ihm kaum noch Verdienstmöglichkeiten bietet. Gemäß der Familientradition und gestützt auf die (protestantische) Kirche, die überall in Deutschland entscheidenden Einfluss auf das Schulwesen besitzt (worüber die letzten Aufzeichnungen einen Einblick bieten), unterzieht er sich einer Ausbildung zum Schullehrer. Nach weiteren Qualifizierungen wird er in seiner Heimat zu einem anerkannten und erfolgreichen Lehrerbildner.

Der Herausgeber dieser dreibändigen Geschichtsquelle ist bereits durch die Veröffentlichung von Dokumentationen und Biografien zur Geschichte der Arbeiterbewegung in regionalen Bereichen weithin bekannt, publiziert u. a. in den nach wie vor erscheinenden »Beiträgen zur Geschichte der Arbeiterbewegung«, BzG. Mit diesem Tagebuch hat Matthias John jedoch einen wahrlich einzigartigen Fund öffentlich gemacht. Schade, dass im Anhang die Forschungen von DDR-Historikern übersehen wurden. Alles in allem aber ein gewichtiger Farbtupfer zum 1848er Revolutionsbild.

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