Erdogans Fall in die eigene Grube

Türkischer Staatspräsident steht wegen Beleidigung von Kritikern vor Gericht

  • Lesedauer: 4 Min.
Weil Erdogan Kritiker »niederträchtig« und »ekelerregend« nannte, sieht er sich nun mit der Anklage wegen Beleidigung konfrontiert. Das Staatsoberhaupt plädiert auf Meinungsfreiheit, die er in Dresden verbieten will.

Istanbul. Der für seine Beleidigungsklagen bekannte türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sieht die eigenen Angriffe auf Kritiker durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Das geht aus einer Erwiderung von Erdogans Anwalt auf eine Schmerzensgeldforderung gegen den Staatschef hervor, wie die Oppositionszeitung »Cumhuriyet« am Montag berichtete.

Erdogan hatte eine Gruppe von Akademikern, die in einem Aufruf das Vorgehen der türkischen Sicherheitskräften gegen kurdische Rebellen kritisierten, als »niederträchtig« und »ekelerregend« bezeichnet und ihnen Komplizenschaft mit »Terroristen« vorgeworfen. Als einer der Betroffenen reichte der Politologe Baskin Oran darauf eine Zivilklage ein und verlangte umgerechnet rund 3000 Euro Schmerzensgeld von Erdogan.

Laut »Cumhuriyet« verwies Erdogans Anwalt Hüseyin Aydin auf die Rechtsprechung des türkischen Verfassungsgerichtes und des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes in Straßburg. Zudem seien Erdogans Äußerungen nur an »Terror-Unterstützer« gerichtet gewesen. Eine Entscheidung des zuständigen Gerichts über Orans Klage steht noch aus.

In Istanbul hatte vergangene Woche ein Strafprozess gegen vier Unterzeichner des Akademiker-Appells begonnen. Die Angeklagten wurden für die Dauer des Verfahrens auf freien Fuß gesetzt.

Kritiker werfen Erdogan vor, das Recht auf freie Meinungsäußerung immer weiter einzuschränken. Seit seinem Amtsantritt als Präsident im Sommer 2014 sind fast 2000 Strafverfahren wegen mutmaßlicher Beleidigung des Staatsoberhauptes eingeleitet worden. In Deutschland geht Erdogan mit juristischen Mitteln gegen das »Schmähgedicht« des ZDF-Moderators Jan Böhmermann vor.

Kulturrrat verbittet sich Einmischung aus Türkei

Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, hat mit Befremden auf Berichte über eine Einflussnahme der Türkei wegen eines Dresdner Musikprojekts reagiert. Eine Einmischung der Türkei in deutsche Angelegenheiten dürfe es keinesfalls geben, sagte Zimmermann am Montag in Berlin dem Evangelischen Pressedienst. Anlass war eine am Wochenende bekanntgewordene Forderung des türkischen EU-Botschafters, Fördermittel der Europäischen Union für das Konzertprojekt »Aghet« der Dresdner Sinfoniker nicht auszuzahlen. In dem Stück wird der Massenmord an den Armeniern vor 100 Jahren als Genozid bezeichnet.

Die EU-Kommission war der Forderung zwar nicht nachgekommen, hatte aber nach Angaben der Dresdner Sinfoniker eine »Entschärfung« der bisherigen Formulierungen auf ihrer Internetseite angekündigt. Die Projektbeschreibung sei deshalb zunächst von der Internetseite gelöscht worden. Der armenische Begriff »Aghet« (dt.: Katastrophe) steht für den Genozid an der christlichen Minderheit im Osmanischen Reich mit bis zu 1,5 Millionen Toten, der vor 101 Jahren im Ersten Weltkrieg begann. Die Türkei wehrt sich gegen diese Einstufung des Massakers zwischen 1915 und 1917 als Genozid.

Politiker verschiedener Parteien kritisierten am Wochenende die Vorgänge. Auch Kulturrats-Geschäftsführer Zimmermann sagte dem epd am Montag, das Nachgeben der EU-Kommission sei mindestens ebenso bedenklich wie die Tatsache, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Meinungs- und Kunstfreiheit gegenüber der Türkei nicht deutlich klarer und unmissverständlicher verteidige. »Es ist nicht die Aufgabe der Kommission, sich in künstlerische Prozesse einzumischen«, betonte er. Dies gelte auch dann, wenn diese mit EU-Geldern gefördert werden.

Zimmermann forderte, dass die EU die Löschung von Angaben im Internet rückgängig macht und der Text der Dresdner Sinfoniker in seiner ursprünglichen Fassung bleibt. Selbst Bundespräsident Joachim Gauck habe den Begriff des Völkermords in diesem Zusammenhang in den Mund genommen. »Wir reden also noch nicht einmal von einer Interpretation, sondern von Tatsachen«, erklärte Zimmermann.

Kritik an Zusammenarbeit mit Türkei von Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour

Der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour hat der Bundesregierung und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vorgeworfen, vor den Realitäten in der Türkei die Augen zu verschließen. »Themen wie Pressefreiheit und Menschenrechte werden kaum oder gar nicht angesprochen«, sagte Omid Nouripour der Zeitung »Die Welt«. Daher glaube der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, »jetzt alles mit uns machen zu können«.

Zwar sei die Bundesregierung mit dem EU-Türkei-Abkommen ihrem Ziel näher gekommen, die Zahl der in die EU einreisenden Flüchtlinge zu senken. Doch sei »der Preis, der da gerade bezahlt wird, unerträglich hoch«. Dafür sei das Strafverfahren gegen den Satiriker Jan Böhmermann, dem wegen eines Erdogan-kritischen Gedichts Beleidigung vorgeworfen wird, »ein kleines Indiz«.

»Wir haben es in der Türkei mit einer autokratischen Regierung zu tun, die austestet, wie weit sie gehen kann«, warnte Nouripour. »Sie wird immer so weitermachen, wenn man sich ihr nicht entgegenstellt.« Der Grünen-Politiker äußerte auch Zweifel, ob das Flüchtlingsabkommen die damit angestrebte Wirkung erzielen werde: »Vielleicht behält Ankara die Syrer bei sich, aber dann kommen eben die Kurden, gegen die er gerade Krieg führt.« Agenturen/nd

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