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Wenn der Maibaum dem TÜV nicht gefällt

Für die Aufstellung des Dorfschmucks gibt es längst diverse Vorschriften, selbst der Diebstahl bedeutet Bürokratie

  • Sabine Dobel, München
  • Lesedauer: 4 Min.
Verfall macht auch vor Brauchtum nicht halt. Jährlich müssen Maibäume verfrüht umgelegt werden, da sie - nach heutiger Vorgabe - nicht mehr standsicher sind. Am 1. Mai kommen vielerorts die Neuen.

Stolz ragen sie in den Himmel, Insignien von Brauchtum und Frühling in einem: Maibäume. Doch Schimmel und Fäulnis suchen auch sie heim. Jedes Jahr müssen Stämme vor der Zeit »gefällt« werden. Am 1. Mai werden in Bayern, aber auch in anderen Ländern wie Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen neue Bäume aufgestellt.

Manche Orte bleiben nun maibaumlos. Neubiberg bei München zum Beispiel. Der 14 000-Seelen-Ort steht am 1. Mai ohne Baum da. Ein Prüfer bohrte Löcher und klopfte den kaum drei Jahre alten Stamm ab. Diagnose: nicht mehr sicher. Dann kam die Feuerwehr und legte den Baum mit einem Kran um. Da war es zu spät für die Besorgung eines neuen Baums.

Die Neubiberger sind enttäuscht. »Schade, dass er weg musste - verfrüht«, sagt Simon Huff, Vorsitzender der Lindenburschen Neubiberg. »Wir sind der Meinung, dass der Baum noch hätte stehen können. Aber der TÜV hat gesagt: Nein. Das geht nicht.«

Sachverständige - nicht nur vom TÜV Süd - sind je nach Alter der Bäume unterwegs. »Wir prüfen: Sind die Tafelbilder fest? Sind Pilze im Holz?«, erklärt Heidi Atzler vom TÜV Süd. Der Tannen-Blättling etwa wächst von innen heraus. »Das heißt: Wenn er außen sichtbar wird, muss schnell gehandelt werden.« Der vielerorts übliche weiß-blaue Anstrich kann vor Pilzbefall schützen, ihn aber auch verstärken, wenn das Holz feucht war und unter der Farbe schlecht trocknet. Auch Sturm oder Blitzeinschlag können die Standfestigkeit beeinträchtigen.

Maibäume sind laut Bayerischer Bauordnung »Verfahrensfreie Bauvorhaben«. Seit für sie Versicherungen abgeschlossen werden, sind die Sicherheitsanforderungen gestiegen. »Früher ist man da lockerer umgegangen«, sagt der Bezirksheimatpfleger von Oberbayern, Norbert Göttler. Manchmal sei dann eben bei Sturm die Spitze abgebrochen.

Heutige Prüffristen basieren auf Urteilen und Vorschlägen der Versicherer. Nach einem Jahr reicht demnach ein Check durch einen Zimmerer, nach drei Jahren soll es ein Sachverständiger sein. Alle fünf Jahre wird ein Maibaum gemeinhin erneuert. Die Farbe platzt dann ab.

Für Aufregung sorgte in München eine CSU-Anfrage im Stadtrat, ob alle Maibäume an Schulen und Kitas weg müssten, weil sie nicht täglich kontrolliert werden könnten. Ein Anschlag aufs Kulturgut. Entwarnung aus dem Bildungsreferat: Nur ein Baum wurde entfernt. »An Schulen und Kindergärten stehen meist kleinere Maibäume«, sagt eine Sprecherin. »Sie sind manchmal nur ein paar Meter hoch.« Also nur »Stangerl«.

In den Dörfern ist die Größe auch eine Prestigefrage. Als natürliche Begrenzung gilt wegen Blitzschlags, aber auch aus Respekt: »Nicht höher als der Kirchturm.«

Baierbrunn vor den Toren Münchens bereitet sich gerade auf den »Neuen« vor. 38,8 Meter ist er hoch, drei Meter mehr als der Alte. Er wiegt 5,6 Tonnen und soll 2,80 Meter tief in den Boden eingelassen werden. »Beim Aufstellen sind es bei uns 150 bis 200 Leute, die anpacken müssen«, sagt Thomas Händl vom Verein Maimusi Baierbrunn. Der Stamm liegt dazu auf gekreuzten »Scherstangen«, mit denen Helfer ihn Stück für Stück nach oben schieben. Manche Stangen sind so schwer, dass ein halbes Dutzend Männer sie tragen müssen.

Auch in Baierbrunn musste der Baum früher weg als geplant. Ein Check ergab, »dass das Holz nicht mehr gut genug gewesen wäre«. Zuletzt stand der Baum schon nackt da, ohne die Zunfttafeln, die früher für örtliche Handwerker warben. Beim Schlagen neuer Bäume schwören manche auf den Vollmond: »Mondholz« ist angeblich besonders stabil.

Seit Fasching sind die Baierbrunner dabei, ihren neuen Baum herzurichten: Schäpsen (entrinden), hobeln, streichen. Und bewachen. Nacht für Nacht. Der Maibaum-Diebstahl durch Maibaumfreunde aus anderen Orten, so selten er glückt, ist ein Höhepunkt im Gemeindeleben. Lösegeld: Bier und Schnaps. Der letzte Diebstahl in der Gegend liegt gut 40 Jahre zurück. 1975 holten die Baierbrunner den Baum der Schäftlarner.

»Man muss sagen: Es ist mittlerweile echt ein Aufwand, das zu organisieren«, sagt Händl. Neben Helfern und dem Abpassen eines günstigen Moments für den Diebstahl ist eine Menge Bürokratie nötig. Es handelt sich um einen Schwertransport, der angemeldet werden muss. »Ich kann ja nicht die Polizei anrufen, und sagen: Ich klau jetzt einen Baum. Bitte fahren Sie davor und dahinter her«, sagt Händl.

Bayerns Staatskanzleichef Marcel Huber (CSU) will hier Erleichterung schaffen, zugunsten »des bayerischen Lebensgefühls«. Der Maibaumtransport soll künftig genehmigungsfrei sein, auch Feuerwehr oder THW können die Straßen frei halten. »Dass die Feuerwehr hinterher fährt, vereinfacht das Ganze«, sagt Händl. Die Brauchtumsvereine ächzen ohnehin unter der Bürokratie. »Wir haben zwei Ordner voll mit behördlichen Anfragen - nur damit wir den Baum neu aufstellen können und eine Woche Volksfest haben.«

Die Baierbrunner haben das vorzeitige Ende ihres Baumes zumindest versilbert. Sie haben ihn zersägt und versteigert. Und behalten ihren Baum nun in Scheiben: als Türschild oder Brotzeitbrettl. dpa/nd

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