Werbung

Arme Kinder und das Kindes-besserer-Eltern-Wohl

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Kindeswohl ist ein staatlicher Auftrag. Und ein stattlicher noch dazu. Aber wie es scheint, ist es nicht mehr umsetzbar zu Zeiten einer Sozialgesetzgebung, da man solche Aufträge klassistisch motiviert ad absurdum führt.
Kinder aus so genannten Hartz-IV-Familien haben es gemeinhin nicht sonderlich leicht. Sie müssen materielle Entbehrungen in Kauf nehmen, Klassenfahrten werden zur Nabelschau der familiären Verhältnisse, um etwaige Zuschüsse zu erhalten - und vom Spott der Klassenkameraden, wenn die erfahren, dass man aus einem Haushalt stammt, der Stütze bezieht, braucht man gar nicht erst zu reden. Die Armut per Sozialgesetz, die über Jahre zu einem Narrativ persönlichen Makels und Versagens der Leistungsberechtigten ausgebaut wurde, ist kein attraktives Aushängeschild, mit dem man auf Schulhöfen wirbt. Und so wurde manche unbeschwerte Kindheit schon von Hartz IV gekappt, verunmöglicht und im Keim erstickt. Materiell war das Kindeswohl immer leicht angegriffen. Manche kleine Psyche litt als Folge an der Situation und am Umgang damit. Nichtsdestotrotz soll es »Hartz-IV-Kindern« nach neuesten Plänen noch schwieriger gemacht werden.

Das Kindeswohl ist eigentlich ein Rechtsgut, das von staatlichen Organen exekutiert werden soll. Wenn man das so drastisch formulieren möchte. Sagen wir lieber, es soll gewährt, ja hergestellt werden. Mit angemessenen Mitteln, ohne zu viel Brechstange und unter Einbeziehung der Eltern. Der neueste Clou aus dem Hause der Sozialministerin soll speziell getrennt lebende Eltern einbeziehen. Nicht direkt bei der Ausarbeitung förderlicher Strukturen für betroffene Kinder, sondern mehr so finanziell. Wenn nämlich das Kind eines alleinerziehenden Elternteils auf Besuch beim anderen Elternteil ist, so finden die Reformesreformer im Ministerium, dann müsste der alleinerziehende Part ja in dieser Zeit nicht noch zusätzlich den Regelsatz für das nicht anwesende Kind abgreifen. Es isst ja während der Vakanz schließlich nichts.

Nun gut, viel ist das nicht, denn der Regelsatz des Kindes ist ohnehin amputiert, weil man von ihm das Kindergeld abzieht. So wie man bei jüngeren Kindern ebenfalls das pauschalisierte Elterngeld als Einkommen verrechnet, welches vom Leistungsanspruch zu subtrahieren ist. Das war schon immer Usus und hat Kinder aus diesem sozialen Milieu die Chancengleichheit gekostet. Neoliberales Credo war ohnehin, dass man von Chancengleichheit lieber nicht mehr sprechen sollte. Von Chancengerechtigkeit aber durchaus. Das klang anders, denn mit dem zweiten Terminus klang mit, was man den Sozialschmarotzern dieser Republik ja immer mal sagen wollte: »Die Chancen waren gerecht verteilt. Ihr habt nur nicht zugegriffen in eurer Lethargie!« Jetzt soll auch noch der Restbetrag kleingerechneter Regelsätze auf den Prüfstand und abgehoben werden von den Konten der Armen.

Wie werden unter Umständen alleinerziehende Elternteile reagieren, wenn man sie die Abwesenheitszeiten ihrer Kinder monetär spüren lässt? Es wird Unfrieden in diese Familien tragen; in Familien, die sowieso nicht mit sonderlich viel Harmonie ausgestattet sein dürften. Dann ringen Eltern um Besuchszeiten nicht mehr aus Verantwortungsgefühl und Liebe zum Kind, dann geht es knallhart um Geld, um die Finanzierung des Überlebens und letztlich gegen eine abermalige soziale Schlechterstellung der Kinder. Das Kindeswohl ist im Sozialgesetzbuch bereits jetzt kein Rechtsgut mit besonders starker Ausprägung. Mehr und mehr ist man nun auch noch versucht, den letzten Rest einer nicht zu arg benachteiligten Kindheit aus diesem Werk zu verbannen.

Das Kindeswohl ist nicht gesamtgesellschaftlich betrachtet in Gefahr. Nein, es existiert durchaus noch, wird aber zu einem »Kindes-besserer-Eltern-Wohl« ausgebaut, das für so genannte »schlechte Elternhäuser« zweitrangig bleibt. Klar kann man auch in Hartz-IV-Familien Sozialarbeiter schicken, die in der Tat gute Arbeit leisten und die Interessen der Kinder vertreten. Aber einen Geldsack bringen sie in der Regel nicht mit und aufgrund von Armut und Not zerstrittene Eltern kriegt man auch nur relativ schwer gebändigt. Da kämpft jeder um sein Überleben, kämpft jeder darum irgendwie durchzukommen. Auf Kosten der Kinder. Abgesegnet von Frau Nahles und den Hartz-IV-Zeloten, die sie in früheren Tagen mal der sozialen Kälte bezichtigt hat.
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal
Mehr aus: Der Heppenheimer Hiob