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Ost ist schlecht für die Karriere

In Politik, Bundeswehr oder Hochschule - der Ossi hat meist weniger zu sagen

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Ostdeutschen - regelmäßig sind sie Gegenstand statistischer Nachrichten. Das liegt daran, dass Nachrichten gern das von der Norm Abweichende thematisieren. Jüngste Gelegenheit bietet die Bundeswehr.

Immer wieder haben Wissenschaftler nachgezählt, nachgerechnet und sind zum selben Ergebnis gekommen: Der Ossi ist ein statistischer Sonderling und treibt es schier bis zum Äußersten, um rechnerisch aus dem Rahmen zu fallen. In Sachen Arbeitslosigkeit überrepräsentiert, beim Verdienst unter dem Durchschnitt, von der Rente ganz zu schweigen - der Ossi befindet sich oberhalb oder unterhalb, jedenfalls statistisch unangemessen selten in der Norm. Selbst jene Norm, die allein aus seinem Anteil von 17 Prozent resultiert, den er an der Gesamtbevölkerung ausmacht, scheint ihm nicht automatisch zugestanden zu werden.

So auch beim jüngsten Beispiel, dem Anteil der Ostdeutschen, den sie bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr stellen. Hier sind sie nicht unter-, sondern überrepräsentiert. Der MDR berichtete über eine Auswertung des Einsatzführungskommandos, wonach überdurchschnittlich viele Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz aus den sogenannten neuen Ländern kommen. Rund 30 Prozent der Anfang Mai im Ausland stationierten Soldaten stammten aus Ostdeutschland.

Jemand, der eine professionelle Erklärung hierfür parat hat, ist die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD). Die machte die »nach wie vor massiven Unterschiede bei den Löhnen in Ost und West« für die statistische Unwucht verantwortlich. »Die Tatsache, dass vergleichsweise viele Ostdeutsche zur Bundeswehr gehen, ist häufig schlicht eine Folge des Mangels an anderen guten Berufsalternativen in den neuen Ländern«, so Gleicke.

Die zuständige Fachfrau der Bundesregierung wird Recht haben. Geringere Chancen junger Leute im Osten bei der Verwirklichung ihrer Lebensziele erklärt allerdings nicht die Unterrepräsentierung ostdeutscher Soldaten in den Führungspositionen der Streitkräfte. Dies ist nämlich gleichfalls Ergebnis einer Studie. 198 von 200 Generäle und Admiralen der Bundeswehr sind im Westen geboren, lautet der für ostdeutsche Soldaten mit Karrieregedanken ernüchternde Befund einer Untersuchung der Universität Leipzig im Auftrag des Mitteldeutschen Rundfunks. Der Eindruck, dass Ostdeutsche im Auslandseinsatz potenziell ihre Haut zu Markte tragen, während Westdeutsche statistisch gesehen dazu ausersehen sind zu entscheiden, unter welchen Umständen das geschieht, ist folgerichtig. Natürlich ist dies eine rein statistische Feststellung.

Warum die Aufstiegschancen für den Ossi in der Bundeswehr so schlecht sind, dafür hat Iris Gleicke keine vernehmbare Meinung geäußert. Doch vielleicht wirkt hier noch das Misstrauen fort, das bei der Vereinigung von NVA und Bundeswehr vor 25 Jahren die Entscheidungen über die Übernahme ostdeutscher Soldaten bestimmte. Die Leipziger Studie dazu: Und da nur etwa 10 000 NVA-Soldaten in die Bundeswehr übernommen wurden und in 25 Jahren nicht so viele Soldaten zu Stabsoffizieren aufsteigen konnten, sind die Chancen auf die Generalität für Ostdeutsche allein statistisch gesehen äußerst gering.

Dabei ist die Bundeswehr einer der wenigen Bereiche, in denen ein, »allerdings sehr langsames«, Nachrücken Ostdeutscher in Führungspositionen zu erkennen ist, wie es in der Studie heißt. Ansonsten sei ein solches Nachrücken in Führungspositionen in Ostdeutschland generell - entsprechend der Bevölkerungsverteilung - kaum feststellbar. Nur 23 Prozent betrage der Anteil Ostdeutscher in den Führungskräften der neuen Bundesländer - bei 87 Prozent Bevölkerungsanteil.

Die Autoren, Michael Bluhm und Olaf Jacobs, konstatieren, dass bundesweit nur 1,7 Prozent der betrachteten Spitzenpositionen von Ostdeutschen besetzt seien. Bei einem Bevölkerungsanteil von rund 17 Prozent. Der Anteil Ostdeutscher in Spitzenämtern gehe sogar zurück. In den Landesregierungen de fünf östlichen Bundesländer wiesen heute noch 70 Prozent der Politiker eine ostdeutsche Herkunft auf. Im Jahr 2004 waren es noch 75 Prozent. Kein anderes Bild in der Wirtschaft: An der Spitze der 100 größten Unternehmen sank die Zahl der Ostdeutschen von 35,1 auf 33,5 Prozent. An den Universitäten und Hochschulen hat sich laut Studie der Anteil von Rektoren aus dem Osten fast halbiert. Das ist allerdings keine Kunst bei einer absoluten Zahl von gerade mal noch drei ostdeutschen Rektoren im Vergleich zu 19 westdeutschen. Wie gesagt: an ostdeutschen Hochschulen ...

Und Angela Merkel? Und Joachim Gauck? Sind die Bundeskanzlerin und der Bundespräsident nicht die Vorzeige-Ossis, auf die man östlich der Elbe so stolz ist? Beide Politiker verstärken eher den Eindruck eines sinkenden Einflusses von Ostinteressen in der Politik. Obwohl es im Koalitionsvertrag der derzeit regierenden Großen Koalition steht, kommt es in dieser Legislaturperiode beispielsweise nicht mehr zu der über Jahrzehnte versäumten Rentenangleichung zwischen Ost- und Westdeutschen. Im Gegenteil, wird die Ungleichbehandlung der beruflichen Biografien in Ost und West immer noch fortgeschrieben. Eine Initiative aus Sozialverbänden übergab am Mittwoch in Berlin rund 110 000 Unterschriften, um die Abschaffung von Ungerechtigkeiten bei der erst von der aktuellen Koalition eingeführten Mütterrente zu bewirken. Darunter geht es auch um die Ungleichbehandlung bei den Kindererziehungszeiten in Ost- und Westdeutschland durch verschieden hoch bewertete Entgeltpunkte. Iris Gleicke soll die Unterschriften an Angela Merkel weiterleiten. Von Ossi zu Ossi, sozusagen. Ob das etwas nützt?

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