Drei Leitgestalten

Die Schostakowitsch-Tage setzten den russischen Komponisten in Beziehung zu Eisler und Beethoven

  • Dietrich Bretz
  • Lesedauer: 5 Min.

Bereits zum siebten Mal wurde der in der Sächsischen Schweiz gelegene Kurort Gohrisch am vergangenen Wochenende zu einer Pilgerstätte von Freunden der Musik Dmitri Schostakowitschs. Der russische Komponist hatte hier 1960 und 1972 Erholung und Muße für sein Schaffen gesucht. Hier entstand auch sein berühmtes 8. Streichquartett.

Die 2010 ins Leben gerufenen Internationalen Schostakowitsch-Tage haben längst weitreichende Ausstrahlung gewonnen - auch weil der Verein »Schostakowitsch in Gohrisch« und die eng mit ihm kooperierende Sächsische Staatskapelle immer wieder mit neuen programmatischen Impulsen aufwarten. So wurde dem Festival in diesem Jahr erstmals ein sinfonisches Präludium am Vorabend vorangestellt. Die Staatskapelle und ihr österreichischer Gastdirigent Franz Welser-Möst luden unter dem Leitmotiv »Symphonie der Menschlichkeit« zu einem Open-Air-Konzert am Dresdner Königsufer. Wohl kaum ein anderes Werk des Komponisten war da - eingedenk des 75. Jahrestages des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion - geeigneter als die während der faschistischen Blockade der Newa-Stadt geborene 7. Sinfonie. Weltweit bekannt als die »Leningrader«, ist sie Symbol des Widerstandswillens gegen Unmenschlichkeit jeglicher Art. Faszinierend, mit welcher Intensität die Musiker die Spannungsbögen des Opus modellierten, das unerbittlich-vehemente Trommelostinato des Kopfsatzes genau so eindringlich formten wie das von elegischer Schönheit durchdrungene Poco allegretto oder die tiefe Seelenklage des Adagios, gipfelnd in dem von freudiger Hoffnung erfüllten Finale. Ein sinnreicher Auftakt für das anderentags in der Gohrischer Konzertscheune eröffnete Festival.

Im Zentrum des kammermusikalischen Reigens stand selbstredend der Namensgeber der Festspiele. Zugleich wurde sein Schaffen in Beziehung gesetzt zu dem seines Zeitgenossen Hanns Eisler. Womit endlich auch ein bedeutender Altmeister der DDR-Musik zu Wort kam. Doch auch Ludwig van Beethoven, in der humanistischen Konzeption wie in der innovativen kompositorischen Faktur seiner Werke für Schostakowitsch ebenso wie für Eisler ein Vorbild, gehörte zu den Leitgestalten der Festtage.

Zu einer Gegenüberstellung jener drei Tonschöpfer kam es sogleich am Eröffnungsabend, als das Ensemble Quatuor Danel Beethovens spätes Streichquartett B-Dur op. 130 (nebst der »Großen Fuge« op. 133) konfrontierte mit Schostakowitschs gleichfalls spätem Quartett Nr. 15 sowie Eislers einzigem Opus für diese Besetzung. Eindringlich leuchteten die belgischen Musici das vielfältig verschlungene Stimmengeflecht in der »Großen Fuge« aus. Den Stempel des Außergewöhnlichen erhielt die Soirée durch die exemplarisch erhellende Nachgestaltung von Eislers äußerst selten aufgeführtem Streichquartett op. 75 (1938). Ein beredtes Dokument für des Komponisten immenses Gestaltungsvermögen, die von seinem Lehrer Arnold Schönberg übernommene Zwölftontechnik unorthodox und höchst fantasievoll einzusetzen. Wenn Eisler auch während seiner Kampfmusikperiode (1927-1933) der Kammermusik zeitweilig abgeschworen hatte, markiert sie gleichwohl in seinem Oeuvre einen gewichtigen Schaffensstrang.

Den Abschluss des Abends bildete Schostakowitschs 15. Streichquartett es-Moll op. 144. Wie Beethoven in seinen späten Quartetten neue Formmodelle suchte, hat auch der russische Meister in seinem letzten Quartett, von inneren und äußeren Leiden gezeichnet, zu einer unkonventionellen Reihung von sechs Adagio-Sätzen gefunden. Obgleich asketischer Spätstil und melancholisch-depressiver Ausdruck angesichts das gesamte Werk prägen, vermochten die Musiker den einzelnen Sätzen individuelles klangliches Gesicht zu verleihen.

Zu einer Begegnung der drei Leitgestalten kam es auch am folgenden Abend, als Matthias Wollong, Konzertmeister der Staatskapelle, und die russische Pianistin Anna Vinitskaya sich Beethovens letzter Violinsonate G-Dur op. 96 zuwandten, darauf Wollong und der bekannte Cellist Isang Enders Eislers kaum je aufgeführtes Duo für Violine und Violoncello op. 7/1 (1924) vorstellten und schließlich alle drei Musiker bei Schostakowitschs 2. Klaviertrio zusammenfanden. Ein Gewinn die Bekanntschaft mit Eislers kontrastreichem Opus, das durch seine transparente polyphone Gestaltung für sich einnahm.

Wie facettenreich Schostakowitschs Ausdruckspalette auch in der Klavier- und Kammermusik ist, wurde deutlich, als den Klavierstücken »Tänze der Puppen« (von Vinitskaya virtuos-augenzwinkernd vorgetragen) das 2. Klaviertrio e-Moll in faszinierender Lesart folgte. Da wurde man sofort von dem leidvollen, in den höchsten Klangregionen des Cellos anhebenden Thema im Kopfsatz gefangen genommen. Ein Gefühl der Trostlosigkeit breitete sich aus. Wehmut erfüllte auch das Largo - so die Widmung des Tonschöpfers an seinen damals verstorbenen Freund Iwan Sollertinski verdeutlichend.

Weit gespannt war der thematische Bogen des Abschlusskonzertes. Eröffnet wurde der Abend mit Beethovens Cellosonaten C-Dur und D-Dur op. 102/1,2, die in der formalen Anlage und in der thematisch-motivischen Arbeit mit dem Kanon der klassischen dreisätzigen Sonate brechen. Dem Cellisten Norbert Anger und dem Pianisten Michael Schöch gelang es vortrefflich, die innovative Bauart der Stücke zu veranschaulichen. Dass Schostakowitsch auch ein Faible für das Komponieren unterhaltsamer Musik hatte, darauf machten die von Lewon Atowmjan aus Schostakowitschs Filmmusiken zusammengestellten und für die Besetzung Flöte, Klarinette und Klavier bearbeiteten »Vier Walzer« aufmerksam. Da schlug die große Stunde der Kapellmusiker Rozália Szabó, Robert Oberaigner und Michael Schöch, die die Stücke mit hinreißendem Musikantentum erstehen ließen.

Zwei originelle Werke Eislers bereicherten überdies das Finalkonzert - das atonale Divertimento für Bläserquintett op. 4 (1923), bestimmt von betont sachlichem Habitus, und die Variationenfolge »Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben« op. 70 (1940). Wobei Eislers Opus zusammen mit dem Stummfilm »Regen« von Joris Ivens aufgeführt wurde. Konnten im Divertimento die Semper Winds Dresden brillieren, geriet die Aufführung der Regenvariationen durch die exzellenten Dresdner Bläser und Streicher sowie Michael Schöch (Piano) zu einem Höhepunkt. Aber das Schlusswort sollte doch Schostakowitsch behalten. Zutiefst berührend war die Begegnung mit des Meisters letztem Werk - der von Todesahnung durchdrungenen Sonate für Viola und Klavier op. 147. Deren vielschichtigen Stimmungsgehalt leuchteten Thomas Selditz und Peter Rösel bis in den letzten Winkel aus.

Den Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Oeuvre von Schostakowitsch und Eisler war zudem eine Podiumsdiskussion mit namhaften Musikologen auf der Spur. Die Schostakowitsch-Tage erwiesen sich so als höchst informatives Festival, das auch den weniger bekannten Schostakowitsch und den im musikalischen Alltag arg vernachlässigten Eisler ins Bühnenlicht rückten.

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