Munter drauflos schwadroniert

Klaus Schwab über die Vierte Industrielle Revolution

  • Andreas Fromm
  • Lesedauer: 2 Min.

Das Schlagwort von der Vierten Industriellen Revolution macht die Runde, als Szenario für die nahe Zukunft. Es handelt sich dabei um die Digitalisierung aller denkbaren Lebenswirklichkeiten.

Nun hat sich auch der 1938 in Ravensburg geborene Klaus Schwab, Gründer und Präsident des Weltwirtschaftsforums, dessen Mitglieder sich jährlich in Davos treffen, der Mühe unterzogen, die Zukunft der Menschheit bis zum Jahr 2025 zu skizzieren. Man kann dem jetzt 78-jährigen Autor nur wünschen, dass er im Zieljahr seiner im Wesentlichen rosigen Zukunftsperspektive noch abgleichen kann, wie stark die Wirklichkeit eventuell dann doch von seinen Prognosen abweicht. An der Zukunft haben sich schon viele verhoben.

Natürlich erleben wir gerade einen starken Innovationsschub durch die Digitalisierung auf nahezu allen Gebieten. Aber ob 2025 tatsächlich einer der 23 vom Autor deklinierten »Wendepunkte« Wirklichkeit geworden ist? Nehmen wir beispielsweise die »Umwälzung« Numero 20. Schwab prophezeit die erste Transplantation einer 3D-gedruckten Leber. 76 Prozent einer im vergangenen Jahr befragten Expertengruppe gehen davon aus, das dieser Wendepunkt in nunmehr neun Jahren erreicht sein wird. (Der Rezensent zweifelt.) Sodann beschreibt Schwab eine Reihe von positiven und negativen Effekten dieses »Fortschritts«. Zu den positiven zählt er die Verringerung des Mangels an Spenderorganen, zu den negativen rechnet er die ethische Diskussion im Zusammenhang mit dem einfachen, für jedermann (theoretisch) möglichen Ausdruck von Körperteilen und Gliedern.

Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass da ein selbsternannter Experte für zukünftige Entwicklungen munter drauflos schwadroniert und fantasiert, ohne zu wissen, wovon er eigentlich spricht. Für die Neurotechnologien entwirft er die Vision eines Menschen mit komplett künstlichem Gedächtnis und vermeldet unter der Rubrik »praktische Anwendungsbeispiele« das wirklich bahnbrechende Ergebnis: »Depressionssymptome bei Mäusen konnten durch künstliche Reaktivierung glücklicher Erinnerungen geheilt werden, wie Neurowissenschaftler am MIT nachwiesen.« Damit schließt das Buch, das zwar von weiteren vier Milliarden Menschen schwärmt, die in neun Jahren über mobile Kommunikationsgeräte vernetzt sein werden, aber nicht die Frage stellt, ob die Vierte Industrielle Revolution einen Beitrag dazu liefern könnte, dass alle Digitalphone-Besitzer der Welt dann auch an sauberes Trinkwasser angeschlossen sein werden, nicht mehr hungern, frieren und fliehen müssen, sondern in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben können.

Es gibt wichtiges zu diskutieren: Privatsphäre, Arbeitswelt, Kultur, Umwelt, Autonomie, Demokratie. Nichts davon kann man in Schwabs Buch lesen.

Klaus Schwab: Die Vierte Industrielle Revolution. A. d. Engl. von Petra Pyka und Thorsten Schmidt. Pantheon, München 2016. 240 S. geb., 14,99 €.

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