Ein Harlekin im Ring

»Initial«: die Absolventenshow der Staatlichen Artistenschule

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Dass auch die diesjährige Absolventenshow der Staatlichen Artistenschule wieder im »Wintergarten« stattfinden konnte, ist dem Engagement des Etablissements an der Potsdamer Straße für den Nachwuchs in den artistischen Genres zu danken. Auf seiner traditionsreichen Bühne erfuhren die künftigen Berufskünstler unter »Gefechtsbedingungen«, wie ihre Zukunft aussehen wird.

Erst einmal aber ging es um den Anfang: »Initial« heißt daher die mittlerweile zwölfte Ausgabe dieses Formats einer Schule mit 60-jähriger Vergangenheit. Wie aus Passion nun Profession wird, so das Programmheft, zeigt sich eindrucksvoll in einer über zweistündigen Show gleichbleibend gediegener Leistungen. Regisseur Karl-Heinz Helmschrot hat sie mit inszenatorischen Einfällen verschweißt. Alles dreht sich um eine große weiße Kiste, die häufig bei den Umbauten auftaucht und aus der sich einige der Darbietungen entwickeln: Artistik aus dem Häuschen. Am Ende ist es nur noch ein leeres Metallgerüst, das sich die Akteure überstülpen. Seinen Inhalt aber haben sie in die Show eingebracht.

Zwei Dinge fallen überdies angenehm auf: Mit Cristiana Casadio wurde eine Choreografin gefunden, die den neun Absolventen in Sachen Tanz einiges abverlangt. Ganze Tanzbilder fügen sich in den Abend ein. Wie geschmackvoll und durchaus sexy die Kostüme sind, das verdankt sich Ausstatter Jürgen Beidokat. Nach dem Gruppenhandstand als Finale des frischen Openings eröffnet das Duo Monalaura am Vertikaltuch den artistischen Reigen. Mutig verklammern sich die beiden Mädchen in großer Höhe und zeigen neben Fußhang einhändige Schwebefiguren und als Schlusstrick einen aufgefangenen Salto. Die durchgestalteten Umbauten sind Bestandteil eines Programm wie aus einem Guss. So wird Salehs Schaukelpferd, anfangs oben auf dem Häuschen, nun zum Requisit für seine originelle Handstand-Equilibristik auf pendelndem Grund. Souverän nutzt er jeweils den Totpunkt der Bewegung für einarmige Balancen mit Körperauslenkung und macht auch bei den tänzerischen Einlagen gute Figur.

Gemeinsam mit Anna zeigt er im Teil nach der Pause Duo-Akrobatik, mit Handstand auf der Partnerin in verschiedenen Körperlagen. Annas Hauptact indes ist die Arbeit am Doppeltanztrapez mit vielen ungewöhnlichen Figuren, mit Umschwüngen, Sturz in den Fußhang, fliegend und drehend, und alles in tänzerischer Präsentation. Ihre Kollegin Rosalie verknüpft unten auf einem weißen Podest Handstand-Equilibristik charmant mit der Weitergabe einer Blume von Mund zu Fuß und umgekehrt. Zu einem französischen Chanson bewegen sich ihre Beine so geschmeidig, als seien sie die Arme des »Sterbenden Schwans«.

Verblüffend erfinderisch sind auch die Beiträge nach der Pause im Bemühen, traditionellen Genres Neues abzugewinnen. So hat Carlos an den Chinesischen Mast noch eine umschwingende Stange installiert, die ihm den Wechsel zwischen beiden Requisiten, waghalsige Salti, freihändigen Flug und manch atemberaubenden Auslenktrick gestattet - bis zum Kopfstand auf dem Mast. Auf heitere Art und mit rasanten Schleudertricks nähert sich Sir Adam dem Diabolo-Spiel: im feschen Schottenrock und im Takt des Dudelsacks. Dass er sich gar am Irish Tapdance versucht, erhöht das Tempo seiner Einstudierung.

Was das Duo Sienna in auch ästhetischer Hinsicht am Luftring leistet, steht nicht zu Unrecht am Ende der Show. Ganz auf Spiegelbildeffekte setzen die zwillingshaften Mädchen, bestechen durch elegante Formen, wagemutige Hangfiguren und ätherische Drehbilder.

In dieser Besetzung aus sechs Mädchen und drei Jungen wird »Initial« nun bis Ende September auf große Deutschland-Tournee gehen und Zuschauer in zahlreichen Varietés verzaubern. Als zehnter Absolvent dieses Jahres hat Benedikt bereits so viele Engagements, dass er nur im »Wintergarten« dabei sein konnte: mit einer spektakulären Luftakrobatik, die riskant vom Ring zum Schal wechselt, Überschläge, weite Flüge, freihändige Spagatlage und auf dem Boden imposanten Tanz enthält. All das in einem raffinierten weißen Kleid-Rock mit erotischem Schick und lohender weißer Perücke, ein Harlekin im Ring.

Wertvolle Arbeit für die Zukunft ihrer Zöglinge haben die Pädagogen um Ronald Wendorf auch in diesen Jahrgang investiert!

Wieder im »Wintergarten« am 20.9., Potsdamer Straße 96, Tiergarten. Kartentel.: (030) 588 433

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