Von wegen toter Briefkasten

Trotz E-Mail und Twitter sind die gelben Postbehälter gefragt - ein Bericht aus Niedersachsen

  • Ralf E. Krüger, Hannover
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch in Zeiten mobiler Kommunikation behauptet der Briefkasten seinen Platz - anders als die Telefonzelle beim Vordringen des Handys. Die Zahl der Kästen wächst sogar, so auch in Niedersachsen.

Einer von Deutschlands ungewöhnlichsten Briefkästen hängt an einer Boje im Steinhuder Meer in Niedersachsen. »Alleine diese Woche haben wir rund 150 Briefe und Karten aus der Postboje geholt«, sagt Reinhard Starke vom Segelclub Garbsen. Vor den Toren Hannovers herrscht Hochsaison auf dem Binnensee - das Postaufkommen auf dem See dokumentiert das. Seit 52 Jahren hängt die quietschgelbe Tonne dort - als Schnapsidee einer örtlichen Segelschule gehört sie offiziell aber nicht zum Fundus der Deutschen Post. Die verweist dennoch auf eine in Zeiten des digitalen Wandels erstaunliche Entwicklung: Die Zahl ihrer Briefkästen nimmt nicht ab, sondern zu.

»110 000 Briefkästen sind derzeit in Deutschland von der Deutschen Post für die Nutzung der Kunden verfügbar, somit etwa 2000 mehr als vor zehn Jahren«, erklärt Jens-Uwe Hogardt von der Deutschen Post. Ein Grund: In bewohnten Gebieten muss ein Briefkasten in einer Distanz von maximal tausend Metern Fußweg erreichbar sein - und die Siedlungsfläche wächst vielerorts. Zudem geht die Anzahl der Briefsendungen zwar jährlich zurück, doch ist der Rückgang eher moderat. »Die Menge nimmt zwar jedes Jahr leicht ab, es wird aber noch immer fleißig geschrieben«, sagt der Postsprecher.

Dabei ist die einst so wichtige Briefzustellung heute beim Bonner Dax-Konzern eigentlich nur noch eine kleine, unbedeutende Sparte; denn in den Zeiten schneller, digitaler Kurznachrichten schreiben immer weniger Menschen auf Papier. Die Post reagierte schon mit einer Einschränkung ihrer sonntäglichen Leerung. Im Vorjahr beförderte sie über alle Produktarten hinweg 19,3 Milliarden Briefsendungen - täglich etwa 61 Millionen Sendungen im Briefbereich. Darin enthalten sind Briefe, Karten, Büchersendungen, Werbe- und Presseerzeugnisse.

Es sind vor allem Werbebriefe, die die Säcke in den Briefkästen anschwellen lassen. »85 Prozent aller Sendungen im Briefmarkt der Deutschen Post sind heute geschäftlicher Natur«, sagt Hogardt. Dazu zählen neben Werbesendungen behördliche Schriftstücke. Denn die Perspektiven für den handgeschriebenen Brief sind eher schlecht.

Das bestätigt auch die Germanistin Christine Bickes von der Leibniz-Universität Hannover, die in ihren Seminaren die »mediale und konzeptionelle Schriftlichkeit« aufgreift: »Den Eindruck, dass im digitalen Zeitalter noch Briefe geschrieben werden, teile ich nicht.« Sie gibt aber zu bedenken: »Allerdings schreibt die junge Generation regelmäßig und mit großer Begeisterung Ansichtskarten.« Und sei es nur als Zierde für den Kühlschrank.

Das weit über 500 Jahre alte Postwesen in Deutschland muss sich also zurzeit mit der digitalen Revolution auseinandersetzen - zeigt dank Werbebriefen und Postkarten analog aber tapfer Flagge. Eine Karte mit Briefmarke und Stempel gilt auch in Zeiten von Facebook, Twitter oder WhatsApp als weitgehend unwiderlegbarer Beweis der Anwesenheit an einem bestimmten Ort. Hogardt: »Es geht nicht um die Information, sondern nur den Beweis, dass man irgendwo vor Ort gewesen ist.«

Selbst auf der weltgrößten IT-Messe CeBIT in Hannover - dem selbst erklärten Mekka des digitalen Wandels - berichten Postboten von prall gefüllten Briefkästen auf dem Messegelände. »Ich kann mir vorstellen, dass das vor allem von unseren asiatischen Besuchern genutzt wird, um authentisch zu beweisen: Ich war da«, sagt ein Messesprecher.

Die bald vor ihrem 150. Jahrestag stehende Postkarte erlebt zwar in den Sommermonaten ihre Hochkonjunktur, macht aber nur einen Anteil von knapp zwei Prozent an den Gesamtzahlen im Briefbereich aus. Die damals noch »Correspondenzkarte« genannte Postsendung war 1870 in Deutschland als eine Art analoger Twitter-Service eingeführt worden - eine günstige Mitteilungsform für die Bevölkerung.

Als Universaldienstleister ist der ehemalige Staatskonzern Deutsche Post gesetzlich dazu verpflichtet, an sechs Tagen in der Woche Briefe deutschlandweit zuzustellen. Dabei zählen exotische Regionen wie der Spreewald ebenso dazu wie der Harzer Brocken oder eine Hochzeitseiche bei Eutin in Schleswig-Holstein. Gelbe Briefkästen schippern auch auf der Nordsee: An Bord der Fähre »Pellworm I« können Briefe eingeworfen werden, die dann mit Schiffsstempel versehen im Sondercouvert nach Kiel zur Post gehen. »Das kann schon mal etwas länger dauern, aber dafür ist es auch kein normaler Briefkasten«, so ein Sprecher.

Auch auf der Nordseeinsel Neuwerk vor Cuxhaven gibt es einen Briefkasten. Der wird nur »gezeitenabhängig« geleert. dpa/nd

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