»Dann sei halt kein Opfer!«

Wie bitte?! Argumente gegen gängige Mythen und Abwehrbehauptungen - Teil VII

  • Anna Schiff
  • Lesedauer: 4 Min.

»Das ist doch kein Sexismus, das ist doch ein Kompliment …« Wer Sexismus zum Thema macht, hört nicht selten solche Sätze. Eine nd-Serie in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung will den Blick dafür schärfen, dass Sexismus ein strukturelles Problem unserer Gesellschaft ist. Wer Sexismus thematisiert, stellt immer auch die Frage nach der Macht, nach ihrer ungleichen Verteilung und nach den Strategien, mit denen diese Verhältnis­se aufrechterhalten werden. Es geht um Argumente gegen gängige Mythen und abwehrende Behauptungen, mit denen Kritik an Sexismus zum Schweigen gebracht werden soll.

»Wenn ich ein naives, kleines Mädchen gewesen wäre, dann hätte es sexistisch sein können.«
Alice Schwarzer, Journalistin, im April 2013 auf die Frage, ob die Situation, als ein älterer Mann sie als junge Frau am Bikini-Oberteil angefasst hat, sexistisch gewesen sei

»Dann macht doch die Bluse zu!«
Birgit Kelle, Publizistin, Januar 2013

Was ist dran?

Es stimmt. Frauen gehen sehr unterschiedlich mit Sexismus um. Doch nur weil manche vermeintlich besser mit Sexismus umgehen können als andere, heißt das nicht, dass es deshalb keinen Sexismus (mehr) gibt. Aus diesem Grund irrt sich auch Frau Schwarzer. Es ist schön für sie, dass sie sexistische Erlebnisse so gut wegstecken kann. Es ist aber unsolidarisch von ihr, zwischen den Zeilen anzudeuten, dass Sexismus nur ein Problem von »naiven, kleinen Mädchen« sei – sie lässt nämlich die Frauen, die Sexismus vermeintlich weniger gut ertragen können, mit ihrem Problem allein.

Sexismus ist keine subjektive Befindlichkeit, nur der Umgang damit ist subjektiv. Auch erwachsene, starke, emanzipierte Frauen sind von Sexismus betroffen, nicht nur »naive, kleine Mädchen«. Keine Frau ist weniger erwachsen, stark oder emanzipiert, weil ihr Sexismus etwas ausmacht, denn Sexismus wertet ab, grenzt aus und benachteiligt Menschen.

Dass sich Frau Schwarzer, die Chefredakteurin der feministischen Zeitschrift »Emma«, in einer Debatte über Sexismus zudem selbst sexistisch äußert, indem sie das Klischee des schwachen, wehrlosen Mädchens wiederholt, ist bedauerlich – sie sollte es eigentlich besser wissen.

Zwar stimmt es, dass sich die Erfahrungen von Sexismus von Frau zu Frau unterscheiden, weil Sexismus in Zusammenhang mit anderen Kategorien wie Hautfarbe, Herkunft, sexueller Orientierung oder Klassenzugehörigkeit steht (Intersektionalität). Aber es stimmt nicht, dass sich ein Mensch aussuchen kann, ob er oder sie mit Diskriminierungserfahrungen aufgrund seiner oder ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe umgehen muss – es wird für ihn oder sie entschieden und zwar von der Gesellschaft. Deshalb ist es Aufgabe der Gesellschaft, dies zu ändern. Sexismus ist keine Bluse, die man wechseln kann, wenn sie nicht gefällt, dies gilt auch für Rassismus, Homophobie oder Klassismus.

Soll man Frauen also nicht raten, sich zu wehren?

Doch, natürlich. Aber es ist ein entscheidender Unterschied, ob Frauen dazu ermutigt werden, Strategien zu finden, um mit Situationen umzugehen, die ihre Grenzen verletzen, oder ob sie in die Pflicht genommen werden. Außerdem gibt es einen Unterschied dazwischen, einen Umgang mit einem Problem zu finden und die Ursache eines Problems zu beseitigen. Sich gegen Sexismus wehren zu können heißt nicht, Sexismus abgeschafft zu haben. Der Angriff oder ein Verhalten bleiben ja sexistisch.

Darüber hinaus gibt es Situationen, in denen der Appell »Dann wehr dich doch!« schlicht übersieht, dass beim Sich-Wehren viel auf dem Spiel stehen kann. Befindet sich eine Frau zum Beispiel in einem Abhängigkeitsverhältnis zu einem Menschen, der sie sexistisch beleidigt oder behandelt hat, kann es eine große Herausforderung sein, sich zur Wehr zu setzen. Sie muss abwägen, ob sie sich gegen den Chef, den Professor oder Ausbilder und deren Sexismus wehrt oder welche Wege sie noch gehen kann, ohne dabei ihren Job, ihre Note, ihren Ausbildungsplatz zu gefährden.

Natürlich sollen Frauen dabei unterstützt werden, auch für sich persönlich Strategien zu finden, wie sie ihre Grenzen gut wahr- nehmen und schützen können. WenDo-Kurse zum Beispiel zielen darauf, Frauen stark zu machen.

Wenn wir aber Frauen in die individuelle Pflicht nehmen, sich gegen Sexismus zu wehren, dann geben wir die Verantwortung für ein strukturelles, gesellschaftliches Problem an die einzelne Frau ab, machen daraus eine private Angelegenheit und folgen der Täter-Opfer-Umkehr. Drastisch ausgedrückt, sagen wir als Gesellschaft damit auch, dass Sexismus eine unveränderliche Tatsache ist, mit der es umzugehen gilt. Das stimmt nicht. Sexismus ist von Menschen gemacht – also kann er auch von Menschen abgeschafft werden.

Die Broschüre, auf der diese Reihe basiert, ist gerade als »luxemburg argumente« von der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegeben worden. Die Autorin ist Anna Schiff. Ein Interview mit ihr gibt es hier zum Nachhören. Die llustrationen stammen von Marie Geissler.

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