Weg mit den rassistischen Stereotypen

Initiativen der Schwarzen Community wehren sich gegen einen Straßennamen

  • Philip Zeitner
  • Lesedauer: 4 Min.

»Nkosi Sikelel'i Afrika«, tönt es aus den Boxen, das bedeutet etwa »Herr, segne Afrika«. Einige Fäuste recken sich in den Himmel, die ZuhörerInnen schweigen andächtig, manche singen leise mit und bewegen sich im Rhythmus der Musik. Selbst die vor der Bühne mit Straßenkreide malenden Kinder sind ruhig, lassen ihre bunten Sonnen und Herzen eine Weile unvollendet und lauschen der politischen Hymne.

Es ist der Auftakt zum dritten »Straßenumbenennungsfest« an der »Mohrenstraße«. Anlässlich des internationalen Tages zur Erinnerung an den Versklavungshandel machen Initiativen wie Berlin Postkolonial, der Zentralrat der Afrikanischen Gemeinde in Deutschland oder auch Amnesty International symbolisch aufmerksam auf den rassistischen Straßennamen und fordern die Umbenennung.

Umbenennung der Mohrenstraße in Berlin

Um das Jahr 1715 wurde die Straße mit dem rassistischen Namen benannt. Der Grund für die Namensgebung ist nicht zweifelsfrei zu belegen, doch die wahrscheinlichste Erklärung ist, dass etwa zu der Zeit Sklaven die später zum Dienst im Heer gezwungen wurden, in einem Haus an der Straße untergebracht waren. KritikerInnen dieser Erklärung behaupten, die Straßenbenennung sei zu Ehren einer afrikanischen Delegation erfolgt. »Dass zu dieser Zeit in Preußen Afrikaner geehrt wurden, halte ich für sehr unwahrscheinlich«, sagt Politikwissenschaftler Joshua Kwesi Aikins. In seinem Redebeitrag nennt er drei Gründe, warum die AktivistInnen und er die sofortige Umbenennung der Straße fordern: der rassistische Begriff als solcher, die Geschichte dahinter, vor allem auch der häufig wenig beachtete deutsche Sklavenhandel, und die Tatsache, dass Menschen den Begriff »Mohr« mit rassistischen Stereotypen verbinden. Dabei bezieht er sich auf eine von Studierenden der Humboldt-Universität durchgeführte Untersuchung.

Aikins kritisiert außerdem das Bundesjustizministerium, das sich an der Straße befindet. Von einer Justiz, die ihren politischen Hauptsitz an einer Straße mit solchem Namen hat, könne keine Gerechtigkeit für alle ausgehen. Hier schlägt er den Bogen zur Gegenwart. Es ist ein Anliegen der VeranstalterInnen, die Geschichte und ihren erlebten Alltag zu verbinden. So sieht man viele Männer und Frauen mit »Oury Jalloh – Das war Mord«-T-Shirts, die sich auf den immer noch ungeklärten Tod des Geflüchteten beziehen. »Wir müssen in die Vergangenheit zurückblicken, um die Zukunft zu gestalten«, sagt Aikins. Es sind kämpferische Aussagen, die man von den RednerInnen hört, so auch vom LINKEN Bundestagsabgeordneten Niema Movassat, der eine überfällige und offizielle Anerkennung des Völkermords an den Herero und Nama und eine Entschuldigung der Bundesregierung fordert.
An diesem 225. Jahrestag der Haitianischen Revolution, in der sich die SklavInnen gegen ihre französischen Unterdrückenden auflehnten, wird das Kämpferische immer wieder abgelöst von Melancholie, die von RednerInnen und KünstlerInnen transportiert wird. Über der Veranstaltung liegt eine tiefe Traurigkeit. Die Erinnerung an die Sklaverei und die Massaker an AfrikanerInnen geht vielen Anwesenden offensichtlich nahe.

Die Künstlerin und moderne Wortakrobatin Stefanie-Lahya Aukongo spannt ebenfalls den Bogen zur Gegenwart und prangert in ihrem Auftritt vor allem den Alltagsrassismus an. Damit spricht sie vielen ZuhörerInnen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, scheinbar aus der Seele. »Ich bin es satt. Ich bin müde. Ich bin es leid«, sagt sie leise und die Menschen klatschen.
Die »Mohrenstraße« in Mitte ist nicht die einzige Straße, die einen fragwürdigen Namen in der Hauptstadt trägt. Im »Afrikanischen Viertel« in Wedding gibt es einige weitere in der Kritik stehende Straßennamen. So erinnert etwa der Nachtigallplatz an Gustav Nachtigal, den ersten Reichskommissar im sogenannten »Deutsch-Westafrika«. Auch Adolf Lüderitz, der als Begründer deutscher Ansprüche in Südwestafrika gilt, wird mit einer ihm gewidmeten Straße geehrt. Selbst ein Straßenschild, das dem ausgewiesenen Rassisten Carl Peters gewidmet war, ist noch nicht umbenannt worden. Peters gilt als Begründer der Kolonie »Deutsch-Ostafrika« und wurde posthum von Hitler und den NationalsozialistInnen geehrt. Initiativen und Bündnisse wie das »decolonize Mitte« setzen sich seit einiger Zeit für die Abschaffung von Straßenschildern ein, die die deutsche Kolonialgeschichte beschönigen oder verklären.

Eine weitere symbolische Aktion führen die VeranstalterInnen an diesem Abend in Mitte durch. Die KundgebungsteilnehmerInnen werden dazu aufgefordert, sich mit einem selbstgemalten Straßenschild unter das jetzige zu stellen. Nelson Mandela, Audre Lorde und Anton-Wilhlem Amo sind die Namen der schwarzen FreiheitskämpferInnen, die darauf stehen. Es wäre angemessen, wenn sie in Zukunft auch auf den richtigen Straßenschildern stehen würden.

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