»Es ist nur Fußball«

Im Gespräch mit ZDF-Reporter Boris Büchler

  • Manuel Schumann
  • Lesedauer: 4 Min.

Herr Büchler, was zeichnet für Sie ein gutes Field-Interview aus?
Im Idealfall ein schneller, präziser Transport von Emotion und Information gepaart mit einer persönlichen Note. Ich schätze die authentischen und überraschenden Antworten. Meine Erfahrung: Kluge, durchdachte, hintergründige Fragen ergeben nicht automatisch ein starkes Interview. Mustergültige Fragen nach akademischen Kriterien ebenso nicht.

Das müssen Sie erklären.
Da passt der Satz: Es ist nur Fußball (lächelt). Mit hochphilosophischen Fragen kommt man nicht weit. Wir sollten nicht den Fehler machen, die Dialoge kurz nach Spielende zu vergleichen mit Kaminfeuer-Gesprächen à la »Maischberger interviewt den Altkanzler«.

Zur Person

Am Freitag beginnt die Bundesligasaison 2016/17. Es wird sie wohl wieder geben: skurrile Spiele, große Enttäuschungen, überragende Siege. Am Spielfeldrand sind Sportreporter die ersten, die die Emotionen der Spieler und Trainer einfangen. Boris Büchler ist Sportjournalist und begleitet als Reporter für das ZDF seit fast 20 Jahren die deutsche Nationalmannschaft.

Wer tut das?
Es gibt offensichtlich eine Menge Leute, die sich über die Kurzinterviews amüsieren, ärgern oder ebenjene sogar infrage stellen. Fakt ist: Nach Schlusspfiff gibt es nur einen begrenzten Kanon an Fragen. Hier geht’s nicht darum, Fußballpoesie zu verbreiten. Alles muss schnell gehen und muss verständlich sein. Derjenige Reporter, der zu langatmig, zu kompliziert und von hinten durch die Brust ins Auge fragt, scheitert.

Was antworten Sie denen, die sagen, vielen Sportreportern fehle die nötige Distanz zu den Akteuren, über die sie berichten?
Ich fühle mich da nicht angesprochen. Ich sieze Joachim Löw, obwohl ich ihn so oft interviewt habe wie wohl kein anderer, bestimmt über 100 Mal. Das Schlimmste im Sportjournalismus überhaupt sind Kumpanei und Unterwürfigkeit. Kritisches Nachhaken ist extrem wichtig - geht aber nur, wenn man sich mit den Profis nicht »verbrüdert«. Klar, man muss nah dran sein am Geschehen, aber die Nähe darf nicht zu groß werden.

Wann hat Ihnen zuletzt ein Trainer oder Pressesprecher gesagt, Sie hätten zu kritisch gefragt?
Die Zeiten sind vorbei. Apropos: Als ich anfing, als Reporter zu arbeiten, gab es glücklicherweise noch kein Internet. Mit anderen Worten: Keine Shitstorms, keine öffentlichen Beleidigungen. Ich bin zum Beispiel früher ein paar Mal heftig mit Uli Hoeneß aneinandergeraten. Es gab Wortgefechte mit Jens Lehmann - oha! Was würde wohl heute im Netz abgehen, wenn ähnliches passierte? Ich bin froh, dass die Ausschnitte nicht bei Youtube zu finden sind.

So schlimm?
Dagegen ist das nicht selten zitierte Interview mit Per Mertesacker (»Eistonne«, d. Red.) harmlos. Ich könnte Ihnen zig weitere Beispiele nennen, bei denen es viel, viel härter zuging als das, was wir heute als »Skandal« oder »Aufreger« verkauft bekommen.

Was wollen Sie damit sagen?
Zu Beginn meiner Laufbahn bin ich zwar gelegentlich angeeckt, allerdings stand am Folgetag nicht in irgendeinem Boulevardblatt oder auf einer Online-Plattform: »Zoff im TV.« Kurzum: Früher hatte ich hin und wieder Meinungsverschiedenheiten mit Vereinsvertretern, heute kommt es höchstens mal vor, dass man über drei Ecken hört, Manager oder Mediendirektor X habe dieser oder jener Satz nicht gefallen. Das nehme ich dann sportlich. Hauptsache es bleibt bei einem Disput fair und respektvoll.

Wie gehen Sie mit dem Spott und den Beleidigungen im Netz um?
Unaufgeregt. Es ist ja nur ein Bruchteil der 20-30 Millionen Zuschauer, die nach einem WM- oder EM-Spiel schimpfen. Aber klar, der Aufschrei im Web ist in der Tat größer geworden. Die mediale Skandalisierung ebenfalls. Ich kriege vergleichsweise wenig ab und will mich auch nicht beschweren. Faire Kritik von professionellen Kritikern renommierter Zeitungen ist in Ordnung.

Aber?
Was bedenklich ist - und zugenommen hat - , sind die reflexionsfreien, menschenverachtenden Kommentare im Internet, die unter die Gürtellinie und ins Persönliche zielen. Das ist regelrecht zu einem »Sport« geworden, Moderatoren und Reporter anzugehen. Auch verursacht durch die Anonymisierung im Netz. Wenn einer unter einem Fake-Namen Menschen diffamiert, ist das feige und auch eine Form der Vermummung. Aber man muss diesen Kram ja nicht lesen.

Welche Fragen würden Sie einem Fußballprofi niemals stellen?
Fragen, die auf die Familie abzielen. Tod, Geburt und Krankheit eines Angehörigen sind für mich tabu. Außerdem würde ich einen Spieler, der rhetorisch schwach ist, niemals auflaufen lassen. Einen 19-Jährigen, der in seinem ersten Länderspiel ein Eigentor geschossen hat, muss ich vor der Kamera schützen. Das Argument »Die Profis verdienen doch Millionen, die müssen das abkönnen!« halte ich für Schwachsinn. Beides hat nichts miteinander zu tun.

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