Neurechts argumentierende Linke

Anja Hertz meint, die Kritik an der »kulturellen Aneignung« durch die privilegierte Mehrheitsgesellschaft arbeite mit eben jenen Kategorien des Rassismus, den sie zu bekämpfen glaubt

  • Anja Hertz
  • Lesedauer: 3 Min.

In der schlechten alten Zeit sah die Wissenschaft vom Menschen ungefähr so aus: Weiße europäische Männer beobachteten das Verhalten von Frauen, denen man jegliche Bildung vorenthalten hatte, oder außereuropäischen sogenannten Wilden, die anders lebten, als man es zu Hause in Europa tat. Sie schlossen aus dem, was sie sahen, dass diese Geschöpfe ihrer Wesensart nach unmündig seien und deshalb kundiger Führung bedurften - durch weiße europäische Männer natürlich.

Ein solches Verständnis von Wissenschaft, das Zufälligkeiten des Verhaltens, der Biologie oder Herkunft zu wesenhaften, unwandelbaren Eigenheiten des Menschen erklärt, ist mittlerweile passé. Mehr und mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass vieles von dem, was man früher einmal für Natur hielt, tatsächlich Ergebnis der Verhältnisse ist, unter denen Menschen leben. Und damit eben auch ziemlich wandelbar und verschiedenartig. Unter Rechten, die ihr Gesellschaftsmodell nach wie vor gerne, wie gehabt, mit einem statischen Wesen des Menschen, der Kulturen oder Geschlechter begründen, sind diese Einsichten nicht gerade beliebt. Es soll schließlich ordentlich zugehen.

Neuerdings jedoch finden sich ähnliche Denkfiguren plötzlich auch unter vermeintlich Progressiven in Gestalt der Kritik an Formen der »kulturellen Aneignung« (cultural appropriation). Darunter wird verstanden, dass sich Vertreter einer dominanten oder Mehrheitskultur an den kulturellen Praxen oder Artefakten einer anderen, marginalen Kultur bedienen, ohne dieser dabei den gebotenen Respekt zu erweisen. Die Kultur der Minderheit könne dadurch verloren gehen oder verfälscht werden. Eine solche Form der Aneignung sei aber vor allem Neokolonialismus, denn Menschengruppen, die bereits unter dem realen, ersten Kolonialismus ausgebeutet und versklavt wurden, würden ein zweites Mal beraubt, nun auf kulturell-symbolischer Ebene.

Am weitesten verbreitet ist diese Spielart der Kritik in den USA, doch auch in Deutschland breitet sie sich langsam aus. Prominenteste Vertreterin der Denkrichtung hierzulande ist Hengameh Yaghoobifarah, die Anfang Juli mit einem augenrollenden Lästerartikel über das alternative Fusion-Festival im »Missy Magazine« für gewaltige Empörung auf diversen Internetkanälen sorgte. Unter der Überschrift »Karneval der Kulturlosen« wurden den diversen weißen Hippies, Dreadlock- und Kimonotragenden die Leviten gelesen, denn was sie da trieben, sei kolonialrassistische Praxis.

Nun mag es allerlei ästhetische Gründe geben, sich von Hippies fernzuhalten. Mehr noch, die in dieser Szene verbreitete Vorstellung, dass es anderswo, bevorzugt in Afrika oder Asien, irgendwie authentischer, tiefgründiger und spiritueller und damit: besser zugehe, lässt sich als rassistische Projektion kritisieren. Doch darum geht es KritikerInnen der kulturellen Aneignung wie Yaghoobifarah gerade nicht. Wenn sie von »stereotypen, rassistischen Kostüme(n)« schreibt, meint sie nicht die schwarzgemalten rassistischen Karikaturen im Bastrock, die sich bestürzenderweise tatsächlich noch auf deutschen Karnevalsumzügen finden lassen, sondern eben weiße Menschen, die ein Kleidungsstück oder Style-Element tragen, das ursprünglich aus einer nichtweißen Kultur kommt.

Ohne dass das jemals ausbuchstabiert würde, ist damit gesagt: Kultur ist etwas Einheitliches und klar Begrenztes; kulturelle Vermischung hingegen ein Problem. Womit wir wieder bei den Rechten und ihrer Vorstellung von einem kulturell je unterschiedlichen Wesen des Menschen wären. Genauer gesagt der Neuen Rechten, wo das Konzept des Ethnopluralismus Bewegungen wie die »Identitären« inspiriert. Ethnopluralismus kommt - im Gegensatz zu älteren rassistischen Theorien - ohne Vorstellungen von einer naturgegebenen Überlegenheit der weißen Rasse aus. Es geht vielmehr darum, dass unterschiedliche Kulturen auch eine je spezifische und bewahrenswerte kulturelle Identität haben sollen. Diese sei jedoch durch Migration und kulturelle Vermischungsphänomene akut bedroht.

Nun wird man den Kritikern der kulturellen Aneignung sicher nicht unterstellen können, dass sie geschlossene Grenzen, Martin Heidegger und Rostbratwurst propagieren. Doch haben sie mit rassistischen, kulturalistischen und biologistischen Denkweisen leider mehr gemeinsam, als ihnen lieb sein dürfte.

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