Zwei Hände und ein Kopf

Von Treue, Eifersucht und der Kraft, sich dem Schicksal zu widersetzen

  • Lesedauer: 3 Min.

Sie war die Tochter eines aus Deutschland stammenden Fotografen, dessen Bilder weithin geschätzt und in zahlreichen Zeitschriften veröffentlich wurden. Später jedoch erklärte sie, ihr Vater sei ungarisch-jüdischer Abstammung gewesen. Sie tat dies, so vermuten manche Historiker, um sich von Nazi-Deutschland abzugrenzen und die verfolgten Juden symbolisch zu unterstützen.

Ihre Mutter, die weder lesen noch schreiben konnte, brachte ihr schon früh bei, wie man kocht, näht und die Hausarbeit erledigt. Außerdem musste sie mit ihren Schwestern täglich in die Kirche gehen, was sie jedoch so oft wie möglich zu vermeiden suchte. Von klein auf war sie das Lieblingskind ihres Vaters. »Sie ist die intelligenteste meiner Töchter«, sagte er einmal, »sie ist mir am ähnlichsten.« Von ihm lernte sie das genaue Beobachten der Natur sowie die Techniken des Fotografierens.

Mit sechs erkrankte sie an Polio, zurück blieb eine dauerhafte Schädigung ihres rechten Beines. Und obwohl sie ständig eine Ferseneinlage tragen musste, trieb sie als Kind viel und gerne Sport. Als sie 15 war, besuchte sie eine der besten Schulen ihres Landes, um die Berechtigung für ein Hochschulstudium zu erwerben. Doch dann geschah etwas, was all ihre Zukunftspläne über den Haufen warf: Beim Zusammenstoß eines Omnibusses mit einer Straßenbahn wurde sie schwer verletzt. Eine Stahlstange bohrte sich in ihr Becken, sodass sie einen Ganzkörpergips tragen und lange Zeit das Bett hüten musste. Den Mut verlor sie trotzdem nicht. Denn immerhin hätten zwei Körperteile sie niemals im Stich gelassen, scherzte sie später: ihre Hände und ihr Kopf.

Schon während ihres Krankenlagers fing sie an zu malen. Damit sie diese Tätigkeit auch auf dem Rücken liegend ausführen konnte, ließ ihre Mutter eine spezielle Staffelei anfertigen. Das Malen wurde für sie zu einer Art Selbsttherapie, mit der sie versuchte, ihre körperlichen und seelischen Leiden zu verarbeiten. Entgegen den Prognosen der Ärzte lernte sie mithilfe eines Korsetts relativ rasch wieder gehen, was sie zunächst auch ausgiebig tat. Doch die Schmerzen blieben, ein Leben lang, und waren oft so stark, dass sie sich mit Drogen und Alkohol behalf, um halbwegs erträglich leben zu können.

In ihrer selbstbewussten Art ergriff sie eines Tages ihre Bilder und ging zu einem berühmten Künstler, um ihr Talent beurteilen zu lassen. Der war begeistert, aber nicht nur von ihren Bildern, sondern mehr noch von ihrer Person. Nicht lange danach heirateten die beiden. Von Beginn an verlief die Ehe stürmisch, denn ihr Mann, der schon durch seine barocke Leibesfülle eine imposante Erscheinung darstellte, konnte nicht treu sein. Über seine Seitensprünge berichtete sogar die Boulevardpresse. Zugleich aber drohte er, jeden Liebhaber seiner Frau zu erschießen. Am Ende drehte sie den Spieß um und begann eine Affäre mit dem von Stalin verfolgten Revolutionär Leo Trotzki, dem sie und ihr Mann Unterschlupf gewährt hatten.

Während dieser Zeit waren in New York erstmals Bilder von ihr zu sehen. Und auch anderswo wurde man auf ihre Werke aufmerksam. Doch obwohl sie die Bekanntschaft von Künstlern wie André Breton, Pablo Picasso und Max Ernst gemacht hatte, wartete sie zu Lebzeiten vergeblich auf die wahre Würdigung ihres Schaffens. Diese erfolgte erst viel später, im Zuge der neueren Frauenbewegung. Bis dahin stand sie im Schatten ihres Mannes, von dem sie sich zwar hatte scheiden lassen. Aber bereits ein Jahr später waren beide wieder als Ehepaar vereint.

In den letzten Jahren ihres Lebens ging es ihr gesundheitlich immer schlechter. Sie blieb oft monatelang ans Bett gefesselt und konnte nur noch mithilfe spezieller technischer Konstruktionen malen. Wenige Tage nach ihrem 47. Geburtstag starb sie, offiziell an Lungenembolie. Freunde von ihr schlossen aber auch einen Suizid nicht aus.

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