Schutzraum Kinderzimmer

Omer Meir Wellber und Michael Schulz haben sich in der Dresdner Semperoper an einer neuen »Salome« versucht

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Die »Salome« von Oscar Wilde ist pure Poesie. Eiskalt funkelnd. Bei Richard Strauss wird die Geschichte der Prinzessin von Judäa als Operneinakter zu einem schwül überhitzten Stück über Begehren, Verweigerung und Blutrausch. Mit diesem genialen Coup startete der Bajuware durch, um dann an der Moderne vorbei seine Musik als eigenständiges Feuerwerk am Opernhimmel zu zünden und funkeln zu lassen - ganz gleich, was derweil zu seinen Füßen mit der Welt geschah.

Nach seiner »Salome« (1905) jedenfalls und der folgenden »Elektra« (1909) hätte Strauss auch zu den Protagonisten der Moderne vordringen können. Er machte aber 1911 auf dem »Rosenkavalier«-Fuß kehrt in sein eigenes Reich des post-spätromantischen Schwelgens. So schummelte sich der zeitweilige Reichsmusikkammerpräsident auch an den Forderungen des Nazireiches vorbei. Und in die Herzen der an der Moderne Ermüdeten. Allein was tut’s, ums mit Salome zu sagen. Die Story aus dem Palast des auf die eigene Stieftochter geilen Herodes und der Herodias, die viel mehr Männer viel näher kennt, als ihrem Ruf gut tut, um den fanatischen Propheten, der nur seinen Gott an sich heran und die Prinzessin abblitzen lässt, die ihn küssen will - diese Story treibt auf die Enthauptung zu und kulminiert im Liebesspiel der außer sich geratenen Göre mit dem blutigen Kopf und ihrer eigenen Hinrichtung.

Das bleibt ein Skandalstück - man hat sich nur daran gewöhnt. Allein an der Semperoper, an der es dereinst uraufgeführt wurde, gibt es nur wenige Jahre ohne eine »Salome« im Programm. Dass Michael Schulz und sein Bühnenbildner Dirk Becker sie in ein Kinderzimmer verlegen, ergibt durchaus Sinn. Niemand wird mit Neigung zu abgeschlagenen Männerköpfen geboren. Dass es hier um eine verquere, gleichsam fundamentalistische Reaktion auf ein Missbrauchstrauma geht, liegt quasi auf der Hand. Und so weigert sich diese Salome, erwachsen zu werden.

Der sie anschmachtende junge Syrer Narraboth etwa (Daniel Johansson) tritt hier als Teddybär auf. Wenn er sich umbringt, sieht das nur nach kaputtem Spielzeug mit heraushängender Holzwolle aus. Gegen die geschäftsmäßig mit dem Hausherren streitenden, konferierenden, sich vergnügenden Männer freilich hilft diese Autosuggestion Salomes nicht. Die sind wirklich da, wie Eindringlinge, die im Kinderzimmer nichts zu suchen haben. Und schon gar nicht, um dem Auftritt des halben Dutzend Nackttänzerinnen sabbernd zuzusehen, der hier anstelle von Salomes Schleiertanz die ganze Perversität der Situation eher ins kleinbürgerlich Spießige verharmlost als illustriert.

Intellektuell ähnlich matt bleibt auch der Auftritt des Jochanaan. Dafür fährt das Kinderzimmer wie durch einen Tunnel aus Lichtertoren in den Hintergrund der Bühne und mit Markus Marquardt taucht ein ziemlich zauseliger, kein bisschen attraktiv wirkender Ideologe der reinen Morallehre am Schreibtisch sitzend aus der Versenkung auf. Auch hier bleibt der Funke, der laut Musik zünden müsste, blanke Behauptung.

Am überzeugendsten folgt noch Herodias dem Regieansatz. Nicht nur weil Christa Mayer ihr gesamtes Charisma für eine Königin einbringt, die in der einen Hand am liebsten ein Sektglas hält und mit der anderen das Hinterteil ihres smarten Lustknaben tätschelt. Der ist auch gleich noch als Henker engagiert und geht am Ende, wenn Herodes aus der Tarnung des Kleiderschrankes seinen »Man töte dieses Weib«-Befehl gegeben hat, mit dem noch blutverschmierten Schwert auf das Bett zu, in dem sich Salome neben den hindrapierten Kopf des Propheten gelegt hat.

Man spürt die Absicht der Regie, aber sie geht nicht auf. Was besonders auffällt, weil sich Omer Meir Wellber voll auf das Untergründige, auf die falsche kalte Schönheit der Musik und ihre gefährlichen Klippen einlässt. Die Sächsische Staatskapelle liefert den Strauss der Luxusklasse, den man vor ihr erwartet. Überraschend gut kommt Lance Ryans Herodes vokal gegen die Brandung aus dem Graben an. Jennifer Holloway kann ihre schöne Stimme und das Potenzial für eine wirklich packenden Salome immerhin vorführen. Insgesamt bleibt sie zu sehr die Bewohnerin des metaphorischen Kinderzimmers. Kämen da ein paar Herren in weißen Kitteln, wäre man nicht erstaunt. Immerhin.

Nächste Vorstellungen: 28.10., 4.11.

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