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Wo bleiben die Bewohner?

Die Beteiligung der normalen Bürger steht in der neuen Städte-Agenda der UNO unter ferner liefen

  • Regine Reibling, Quito
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Deutschen Pavillon in der Länderausstellung der Weltsiedlungskonferenz Habitat III in Quito beginnt eine Podiumsdiskussion über die Frage, wie Städte möglichst schnell klimafreundlich, fair und ressourceneffizient werden können. Die Ecuadorianerin Ana Romero hört gespannt zu, wie sich internationale Experten und Bürgermeister austauschen. »Interessant«, findet die Tourismusexpertin, und ist gleichzeitig frustriert. Denn keines der Themen in der Ausstellung hat etwas mit ihrem Alltag zu tun. »An der Küste haben viele Städte noch nicht mal die Basisversorgung mit Wasser und Abwasser«, erzählt sie.

Diese Begebenheit verdeutlicht das Dilemma der UN-Konferenz zu Wohnungsbau und nachhaltiger Stadtentwicklung, die nur alle 20 Jahre stattfindet. Die Mitgliedstaaten debattieren über eine lebenswerte und klimafreundliche Zukunft von Megastädten, während vor Ort selbst viele grundlegende Probleme noch nicht gelöst sind. Eines dieser Probleme sind die Armenviertel, die sich vor allem in Ballungszentren der Entwicklungsländer in den vergangenen Jahren rasend schnell ausgebreitet haben. Allein in Lateinamerika lebt nach Angaben der Organisation Habitat for Humanity jeder vierte Städter in Slums.

Die Armutsbekämpfung war bereits bei der Habitat II-Konferenz in Istanbul 1996 festgelegt worden, wurde aber erneut in das Abschlussdokument mit aufgenommen. Auf die sogenannte New Urban Agenda hatten sich die Mitgliedstaaten nach mehrjährigen Verhandlungen bereits im September verständigt. Sie wurde am Donnerstagabend verschiedet. Kernpunkte sind eine wirtschaftlich nachhaltige und umweltfreundliche Stadtentwicklung. Die Armutsbekämpfung bleibt demnach eine zentrale Aufgabe der Städte und Mitgliedstaaten, hinzu kommt die Anpassung an den Klimawandel. Auch die Integration von Minderheiten und Flüchtlingen wurde im Abschlusspapier festgeschrieben. Die Städte-Agenda dient als politische Richtschnur für eine nachhaltige Stadtentwicklung in den kommenden 20 Jahren. Sie ist allerdings völkerrechtlich nicht verpflichtend. Außerdem sollen die Kommunen und lokalen Entscheidungsträger stärker in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden.

Doch wo bleiben die Bürger? Das fragen sich vor allem viele Organisationen der Zivilgesellschaft und fordern eine stärkere Beteiligung der Stadtbewohner an Planungsprozessen. In Quito fühlen sich viele Bürger von den Verkehrsplänen der Stadtverwaltung übergangen, wie bei der Metro (im Bau) oder bei der geplanten Erweiterung für die Schnellstraße ins Tal. Ein kleiner Stadtteil mit rund 50 Bewohnern soll weichen - und wehrt sich.

Das Thema Vertreibung stand beim Gegengipfel von Nichtregierungsorganisationen, Menschenrechtlern und alternative Stadtplanern im Mittelpunkt. Die Protestveranstaltung, ganz in der Nähe des offiziellen Veranstaltungsorts, war »als Forum der Zivilgesellschaft« gedacht, erläuterte Mitorganisator Ricardo Buitrón.

Lisa Junghans von der deutschen Nichtregierungsorganisation German Watch ist von der UN-Städtekonferenz positiv überrascht. Es gebe zahlreiche Veranstaltungen mit Beteiligung sozialer Organisationen. Auch im Vorbereitungsprozess sei die Zivilgesellschaft eingebunden worden, betont die Klimaexpertin. Doch nun komme es auf die Umsetzung an. Und da sieht Junghans eine große Kluft zwischen dem verabschiedeten Abschlusspapier und der Bevölkerung in den Städten.

Der Generalsekretär der Habitat III-Konferenz, Joan Clos, forderte die Weltgemeinschaft auf, die neue Agenda zu unterstützen. Die Urbanisierung sei »eine Transformation unserer Gesellschaft«, die man sehr ernst nehmen müsse, sagte er bei der Abschlusszeremonie. Das rasante Wachstum von Mega-Städten hatte im Mittelpunkt der viertägigen Beratungen gestanden.

In Quito debattierten rund 40.000 Teilnehmer aus mehr als 130 Ländern. Weder Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) noch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) schafften es nach Quito - Termingründe.

Immerhin wird das Entwicklungsministerium 2017 gemeinsam mit der KfW Entwicklungsbank mehr als eine Milliarde Euro bereitstellen, unter anderem für Busse, S-Bahnen, Fähren, Fahrrad- und Fußwege, die einer Viertel Million Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern zugutekommen sollen.

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