Der Kampf gegen Armut ist das Wichtigste

Marilou Pantua-Juanito über die aktuelle Politik in den Philippinen und nachhaltige Entwicklungsziele

  • Lesedauer: 6 Min.

Es hat den Anschein, als würde Philippinens neuer Präsident Rodrigo Duterte einen außenpolitischen Schwenk weg von den USA hin zu China vornehmen. Teilen Sie diese Sicht? Ist es für Philippinens Entwicklung nicht besser, aus zwei Optionen zu wählen als von einer Seite abhängig zu sein?
Durchaus. Die neue Regierung unter Duterte fährt prinzipiell einen Neutralitätskurs. Der Ausgangspunkt ist allerdings die persönliche Anti-US-Imperialismus-Haltung von Duterte, auch wenn das nicht offiziell in den Positionspapieren steht. Davon unabhängig finde ich es gut, Beziehungen zu China - auch Russland - zu unterhalten. Weniger gut fände ich ein entweder China oder USA. Neutral zu sein sollte heißen, mit allen Ländern gute Beziehungen zu pflegen, auch den USA. Duterte sollte nicht China über die USA stellen, sondern mit beiden Partnerschaften und Allianzen anstreben. Das wäre für die Philippinen das Beste.

Duterte hofft auf chinesische Großinvestitionen, etwa in Eisenbahnstrecken, darunter in seiner langjährigen Heimat, der Armutsprovinz Mindanao. Sind das Ihrer Ansicht nach die richtigen Prioritäten?
Mindanao ist von Infrastrukturprojekten bisher ausgespart geblieben. Insofern wären Eisenbahnstrecken sicher ein Fortschritt, weil sie die Transportzeiten verkürzen würden. Jedoch ist nicht eine prestigeträchtige Eisenbahnstrecke das dringendste Infrastrukturbedürfnis, sondern das wären bessere Straßen und Wege, die den Kleinbauern ermöglichen, ihre Produkte auf den Markt zu bringen. Eine große Eisenbahnstrecke würde vielleicht für die Gütertransporte größerer Unternehmen infrage kommen, aber kaum für Kleinbauern. Das ist vergleichbar mit der U-Bahn in Manila: Die wird von der Mittelklasse benutzt, die Armen können sie sich nicht leisten.

Zur Person

Marilou Pantua-Juanito ist seit über 35 Jahren in der Entwicklungsarbeit tätig. Sie ist insbesondere Expertin für die Bereiche ländliche Entwicklung, Gemeinwesen und Weiterbildung. Seit April 2014 ist sie bei der Entwicklungs- und Darlehensgenossenschaft Oikocredit Koordinatorin für Soziale Wirksamkeit sowie Beratung und Schulungen in der Region Südostasien.

Die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) sollen bis 2030 erreicht werden. Zum Beispiel: keine Armut, Null Hunger, Geschlechtergerechtigkeit, qualitative Bildung und so weiter ... Ist das in 14 Jahren für die Philippinen vorstellbar?
Bei manchen Zielen ja, bei allen nicht. Bei Geschlechtergerechtigkeit liegen die Philippinen schon jetzt auf dem siebten Platz unter 155 Ländern laut dem Gender Inequality Index (GII) der UNO. Mit Null Hunger wird es schon schwieriger: Zwölf Prozent der rund 100 Millionen Philippinos können sich täglich nicht anständig ernähren. Um das zu ändern, muss massiv in dieses Ziel investiert werden. Auch qualitative Bildung ist im Prinzip möglich. Jedoch hat die amtierende Regierung die Etats für Bildung und Gesundheit stark zusammengestrichen, was den Zielen zuwiderläuft. Was die Armut anbetrifft, führt die neue Regierung ein Programm der Vorgängerregierung fort, das Armen, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen, Geldtransfers zukommen lässt, zum Beispiel Schulgeld gegen Impfung und Anwesenheit der Kinder beim Unterricht. Summa summarum, positiv gedacht, sind die SDGs erreichbar, wenn der politische Wille dafür aufgebracht wird.

Es gibt auch komplexere SDGs wie umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen zu ergreifen, von dem auch die Philippinen stark betroffen sind. Wie sieht es da aus?
Schlecht. Die philippinische Regierung zögert, das Klimaabkommen von Paris zu unterzeichnen, weil ihr die Verpflichtung, den CO2-Ausstoß zu reduzieren, zu ambitioniert erscheint. Dabei ist der Klimawandel eine der größten Herausforderungen für die Philippinen. Wir von Oikocredit schulen Partnerorganisationen und deren Mitglieder bzw. Kundinnen und Kunden, ihre Arbeits- und Produktionsmethoden an veränderte Klimabedingungen anzupassen, Risiken zu reduzieren und auf konkrete Katastrophenszenarien besser vorbereitet zu sein. Der nächste Taifun kommt sicher.

Zu den komplexeren SDGs gehört auch das Ziel von menschenwürdiger Arbeit für alle und dauerhaftem, inklusivem und nachhaltigem Wirtschaftswachstum. Weit von Philippinens Realität entfernt, oder?
Makroökonomisch sieht es nicht so schlecht aus. In den letzten Jahren sind die Philippinen auf einen stabilen Wachstumspfad mit Wachstumsraten von durchschnittlich sechs Prozent eingeschwenkt. Die neue Regierung will diesen Kurs fortsetzen und zum Beispiel die Öffentlich-Privaten-Partnerschaften weiter vorantreiben, ebenso den Infrastrukturausbau und multilaterale Handelsabkommen. Es gibt großen Nachholbedarf insgesamt und viel Armut. Die Regierung will deswegen Jobs schaffen und Investitionen aus dem Ausland anziehen. Die Regierung will den Industriesektor stärken statt den Dienstleistungssektor, in dem oft sehr niedrige Löhne gezahlt werden. Insgesamt erhalten zehn Prozent der Beschäftigten weniger als zwei US-Dollar am Tag.

Bekommt die Regierung externe Finanzierung zum Beispiel von China oder der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB), um die Industrialisierung voranzutreiben?
Es gibt Kredite vor allem von der ADB und der Weltbank.

Damit steigt aber auch die Auslandsverschuldung, ein Problem?
Unter Umständen. Die frühere Regierung hatte aber auch im Haushalt mehr Eigenmittel für die Modernisierung der Infrastruktur bereitgestellt, die beispielsweise in den Straßenbau und den Ausbau der Kanalisation fließen. Die Fortschritte im Vergleich zu vor 40 Jahren sind deutlich sichtbar.

Worin bestehen die größten Herausforderungen für die Philippinen in Bezug auf die SDGs?
Die Politik zu einer umfassenden Verbindlichkeit zu bewegen. Bisher steht viel auf dem Papier, wenn nicht entsprechende Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, wird sich nicht viel bewegen. Nur so können zielführende Maßnahmen umgesetzt werden.

Sie sehen insbesondere die Regierung in Manila in der Pflicht?
Ja. Ein Beispiel: Die Regierung hat ein Programm für lebenswürdiges Wohnen aufgelegt, Land am Stadtrand wurde an informelle Siedler aus der Stadtmitte verteilt, die nun legale Besitzer sind. Das muss aber begleitet werden um Einkommen und Beschäftigung schaffende Aktivitäten in der Peripherie, denn sonst werden die Menschen gezwungen sein, wieder in die City zurückzukehren, um dort ihr Auskommen zu suchen. Für Entwicklung bedarf es eines ganzheitlichen Ansatzes und keiner Flickschusterei an dem einen oder anderen Problem.

Der seit 30. Juni amtierende Präsident Rodrigo Duterte ist wegen seines Politikstils kontrovers, aber genießt große Popularität unter den Armen, oder?
Das stimmt. Er ist nach wie vor sehr populär, weswegen es schwierig ist, mit Kritik durchzudringen. Duterte wurde aber nur von weniger als 40 Prozent der Philippinos gewählt, das hat zum Sieg gereicht.

Seinen entwicklungspolitischen Ansatz zu beurteilen, dürfte noch zu früh sein, oder?
Ja. Philippinos sind allgemein sehr geduldige Menschen. Sie geben Duterte Zeit, bevor sie ein Urteil fällen.

Und sind Sie optimistisch, dass er das Land in der Armutsbekämpfung voranbringt?
Duterte stammt aus einer armen Provinz und gehört nicht zum Establishment. Zum ersten Mal kommt ein Präsident aus Mindanao. Ich hoffe, dass er auf seine Berater hört und die Kritik an seinem Politikstil konstruktiv aufnimmt.

Was ist ihre zentrale Kritik an Duterte?
Dass er sich auf den Kampf gegen die Drogen fokussiert statt auf den Kampf gegen die Armut. Es gibt in der Tat fast vier Millionen Drogenabhängige in den Philippinen, was ein Problem ist. Aber 26 Prozent der 100 Millionen Philippinos leben unter der Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag. Diesem Kampf sollte die zentrale Aufmerksamkeit gewidmet werden, zumal ein wesentlicher Teil des Drogenproblems auch in der Armut liegt.

Das 17. und letzte SDG dreht sich um Partnerschaften zwischen Nord und Süd, um die Ziele zu erreichen. Was erwarten Sie vom Norden?
Für dieses Ziel machen sich vor allem die Entwicklungsländer stark, die Industrieländer sind da nicht wirklich erpicht drauf. Sie sehen Partnerschaft traditionell meist als Geber-Nehmer-Verhältnis, bei dem sie den Ton angeben. Dieses Verständnis in 15 Jahren zu brechen, dürfte schwierig sein. Als dezentral organisierte, internationale Genossenschaft verfolgen wir mit langer und guter Erfahrung einen anderen Ansatz.

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