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Kein Pardon für Pol Pots »Brüder«

Kambodscha: Urteil gegen Nuon Chea und Khieu Samphan ist rechtskräftig

  • Detlef D. Pries
  • Lesedauer: 3 Min.

Am 17. April 1975 hatten schwarz gekleidete »Befreier« die kambodschanische Hauptstadt Phnom Penh erobert, die Herrschaft des USA-hörigen Marschalls Lon Nol beendet - und die Bevölkerung der Millionenstadt brutal aufs Land gejagt. 20 000 Menschen fielen der Gewaltorgie schon in den ersten Tagen nach ihrer vermeintlichen Befreiung zum Opfer. Unter der folgenden, mehr als dreieinhalbjährigen Herrschaft der angeblich »Roten« Khmer starben nahezu zwei Millionen Menschen durch Ermordung, an Hunger oder Erschöpfung.

In einem ersten Prozess gegen zwei hochrangige Anführer des Regimes - den inzwischen 90-jährigen Chefideologen Nuon Chea und den 85-jährigen Khieu Samphan, nominelles Staatsoberhaupt des »Demokratischen Kampuchea« - waren die Angeklagten nach 222 Verhandlungstagen im August 2014 zu lebenslanger Haft wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt worden. Beide hatten gegen das Urteil Berufung eingelegt. Sie wiesen jede persönliche Verantwortung für Untaten während der Herrschaft ihres »Bruders Nr. 1«, Pol Pot, zurück. Nuon Chea, Pol Pots Stellvertreter, will »nur« für Propaganda und Erziehung zuständig gewesen sein, Khieu Samphan beschreibt sich als machtloses intellektuelles Aushängeschild des Regimes. Wenn es Exzesse gegeben habe, seien sie regionalen Führern oder aber »vietnamesischen Agenten« anzurechnen, die selbstständig gehandelt hätten.

Beide Angeklagte behaupteten, vor dem international zusammengesetzten Tribunal keinen fairen Prozess gehabt zu haben. Den kambodschanischen Richtern warfen sie »Befangenheit« vor, weil sie nicht von ihren eigenen Erlebnissen während der Pol-Pot-Herrschaft absehen könnten. Und dem französischen Richter Jean-Marc Lavergne hielt Nuon Cheas niederländischer Anwalt Victor Koppe vor, er sei »inkompetent« und verkünde »feige Beschlüsse«. Den ganzen Prozess nannte Koppe eine »Farce«, die er auf Geheiß seines Mandanten zeitweilig boykottierte. Auch weil das Gericht seinen Antrag abgelehnt hatte, den derzeitigen kambodschanischen Parlamentspräsidenten Heng Samrin als Zeugen zu laden. Heng Samrin, der als Regimentskommandeur an der Eroberung Phnom Penhs beteiligt gewesen sein soll, ging später in den Widerstand gegen das Regime, floh nach Vietnam und fungierte nach dem Sturz Pol Pots durch vietnamesische Truppen im Januar 1979 als Staatsoberhaupt der damaligen Volksrepublik Kampuchea.

Die Weigerung führender Politiker Kambodschas, vor dem Gericht auszusagen, beweise dessen Machtlosigkeit und den Mangel an Unabhängigkeit, argumentierte Nuon Cheas Verteidigung. Das Oberste Gericht als Berufungsinstanz gab den Einsprüchen der Angeklagten teilweise statt: Kammerpräsident Kong Srim räumte in der Urteilsbegründung ein, dass der Vorsatz der Vernichtung eines Teils der Bevölkerung durch die zwangsweise Evakuierung Phnom Penhs im April 1975 nicht ausreichend bewiesen sei. Aber durch die Vertreibung seien massenhaft ernsthafte mentale und körperliche Leiden verursacht worden, was den Vorwurf des Verbrechens gegen die Menschlichkeit begründe. Nicht zweifelsfrei erwiesen sei überdies eine direkte Verantwortung der Angeklagten für die Ermordung von 250 Militärs des gestürzten Lon-Nol-Regimes.

Insgesamt reichten die Mängel des Urteils der ersten Instanz jedoch nicht aus, um eine Reduzierung des Strafmaßes oder gar einen Freispruch zu rechtfertigen.

Damit ist erstmals ein rechtskräftiges Urteil gegen zwei »Brüder« des bereits 1998 verstorbenen Pol Pot ergangen. In einem Prozess, wie sie selbst ihn den zahlreichen grausam erschlagenen und gepeinigten Opfern des Regimes nie gegönnt hatten. Wegen des Umfangs der Anklage und des Alters der Beschuldigten hatte das Tribunal den Fall in mehrere »Klein-Prozesse« geteilt. Im zweiten dieser Prozesse, der noch im Gange ist, wird unter anderem der Vorwurf des Völkermords an Vietnamesen und Angehörigen der muslimischen Cham-Minderheit verhandelt. Ein Urteil wird frühestens Ende nächsten Jahres erwartet.

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