»...eine jederzeit offene Zusammenarbeit«

Dem Verfassungsschutz fehlen NSU-Observationsberichte und dem BKA jegliche Gefühle für Ermittlungsarbeit

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

Gerd Egevist, so will er genannt werden, ist 66 Jahre alt, pensioniert. Er war in der vergangenen Woche Zeuge im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Der Mann, der im gehobenen Verfassungsschutz-Dienst gewalttätige Rechtsextremisten beobachtete, wog seine Worte wohl ab, beriet sich mit seinem Rechtsanwalt und erweckte durchaus den Eindruck, aussagewillig zu sein. Beim Erinnern geholfen hätten ihm alte Akten. Auch die zu den V-Leuten »Treppe«, »Tusche«, »Tonfarbe« und »Tarif«? Kaum. Denn letztere beispielsweise habe er vor Tagen im Amt nur arg zerfleddert vorgefunden. Maximal zehn oder zwanzig Prozent des einstigen Bestandes seien noch vorhanden.

Von 1994 bis 2001 war »Tarif«, also Michael von Dolsperg, Spitzel für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Mit seinen Informationen hätte sich die NSU-Mordserie womöglich verhindern lassen. Ob das so ist, wollen aber weder das Bundeskriminalamt (BKA), noch der Generalbundesanwalt oder das Gericht in München wissen.

Mordverhindernd hätte auch ein Freundschaftsdienst, den Egevist seinem damaligen Thüringer Verfassungsschutzkollegen Peter Nocken erwiesen hat, sein können. Der Geheimdienstvize aus Erfurt hatte Mitte März 1999 um Observationshilfe in der »Operation Drilling« gebeten. Man wollte Kontaktleute des Anfang 1998 untergetauchten Jenaer Trios, aus dem die NSU-Terrorzelle erwuchs, beschatten. Doch stellten sich die Länderagenten so dämlich an, dass die Zielpersonen André Kapke und Ralf Wohlleben sie sofort entdeckten.

Offenbar wollte der Thüringer Verfassungsschutz und das dortige Landeskriminalamt zu diesem Zeitpunkt doch ernsthaft nach den untergetauchten Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe suchen - nachdem ein geheimer Deal mit den entlaufenen Jenaer Bombenbauern geplatzt war. Inhalt der noch immer geheimen Vereinbarung, die am 12. März 1999 zwischen der Staatsanwaltschaft Gera und einem Anwalt geschlossen wurde: Die »Drillinge« stellen sich, gehen für »ca. 2 Wochen in Untersuchungshaft«, um »die vollständigen Geständnisse und Aussagen aufnehmen zu können«. Ursprünglich hatte man sogar Haftverschonung in Aussicht gestellt.

Dass es neben dem Rechtsanwalt diverse - auch Verfassungsschutz-V-Leute - gab, die irgendwie in Kontakt zum per Steckbrief gesuchten Trio standen, ist belegt. Dass keiner den ausgebufften Observationsteams, die Handys und Telefone überwacht sowie Peilsender an Fahrzeuge angebracht hatten, den Weg wies, ist kaum vorstellbar.

Im März 1999 hatte sich der NPD-Anwalt Hans-Günther Eisenegger bei der Staatsanwaltschaft Gera gemeldet und Akteneinsicht verlangt. Der Jurist aus Mecklenburg-Vorpommern wies ein von Zschäpe unterzeichnetes Mandat vor, das offenbar vom NPD-Funktionär Wohlleben vermittelt wurde. Dessen Besuch bei Eisenegger wurde vom Schweriner Verfassungsschutz dokumentiert. Wie Wohlleben den Kontakt zu Zschäpe hergestellt hat, ist den Verfassungsschützern angeblich noch immer unerklärlich.

Es war nicht das erste Mal, dass das BfV bei der Observation half. Zwischen Anfang und Ende Juni 1998, so ist geheimen BKA-Vernehmungsprotokollen mit zwei BfV-Leuten zu entnehmen, folgte man gleichfalls Kapke, möglicherweise auch Tino Brandt. Der Ex-V-Mann Brandt und Chef des Thüringer Heimatschutzes sitzt inzwischen wegen Kindesmissbrauchs in Haft. Auch Wohlleben und Schultze hatten Agenten am Hacken. Sie sind angeklagt im Münchner NSU-Prozess. Unter anderem, weil sie die Ceska-Mordwaffe besorgt haben sollen.

»Einige Male« habe das BfV »noch Spurfolgetechnik einschließlich des Flugzeuges für die Observationskräfte der Thüringer zur Verfügung gestellt«, liest man im Vernehmungsprotokoll. Addiert man alles, was bekannt ist, muss es mindestens acht Verfolgungsaktionen gegeben haben. Doch Berichte existieren nur noch für zwei. Die sind nichtssagend. Was stand in den anderen?

Und gab es wirklich keine weiteren Observationsmaßnahmen des BfV? Als ein Wohlleben-Kurier zu den »Drillingen« war 1998 auch Jürgen Helbig unterwegs. Einmal habe er eine Tüte nach Zwickau gefahren, zum McDonalds-Parkplatz an der Autobahn A4, sagt er. Dort habe er sie einem anderen Kontaktmann gegeben. Dabei sei ein Hubschrauber über ihnen gekreist. Später hätte ihm das LKA Vorhaltungen gemacht wegen der Kuriertätigkeiten. Die Beamten, so sagte Helbig, der im Münchner Prozess als Zeuge aussagte, wussten »das von Zwickau, von der Felsenkellerstraße und das mit Frau Zschäpes Wohnung«. Und sie hätten ihm Fotos von seinem Treff an dem Parkplatz gezeigt - aus luftiger Höhe aufgenommen.

Das LKA bestreitet, so eine Überwachung veranlasst zu haben. Man habe auch nie Luftbilder gehabt. Wer dann? Warum sollte der Zeuge, der bislang Fragen ehrlich beantwortet hat, diese Gangstergeschichten erfinden? Fehlen da womöglich noch mehr Observationsberichte über die »Operation Drilling«?

Das alles sollte eigentlich auch das Bundeskriminalamt interessieren, das am 11. November 2011 - also eine Woche nach dem Auffliegen des NSU - alle Ermittlungen übernahm. Zeitweise 400 Beamte der obersten Kriminalpolizeibehörde der Republik, ergänzt durch Helfer aus Ländern, waren beteiligt. Bis September 2015 hat man 130 Zeugenvernehmungen durchgeführt, 7000 Asservate ausgewertet, 1500 Hinweisgeber angehört. Und? Fragt man Axel Kühn, einen leitenden Beamten der Besonderen Aufbauorganisation, fällt man vom Glauben an die Fähigkeiten des BKA ab. Vor dem Untersuchungsausschuss in Berlin antwortete er auf klare Fragen zumeist mit »nichts gefunden«, »tappen im Dunkel«, »vermutlich«, »wahrscheinlich«, »vielleicht«, »denkbar«, »mag sein« und »wir wissen es nicht«.

Der Ausschuss hat nachgerechnet, dass die drei mutmaßlichen NSU-Terroristen, die mindestens zehn Menschen ermordeten, Bomben explodieren ließen und ein gutes Dutzend Überfälle verübten, rund 4700 Tage unerkannt leben konnten. Rund 4500 Tage NSU-Dasein sind auch für die BKA-Ermittler die reinste »Black box«. Wo Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe waren, wie sie lebten, wer mit wem, wovon, mit wem wer welche Kontakte hatte, wieso zwischen den Morden so lange Pausen waren, warum einige als »Doppelschlag« verübt wurden, wie man die Opfer auswählte, wieso man 2007 plötzlich statt wie bisher Migranten Polizisten attackierte und dann ganz auf Tauchstation ging, warum man keine Fingerabdrücke und DNA-Spuren von den mutmaßlichen Tätern an den Tatorten und in den Mietfahrzeugen fand - all das ist auch fünf Jahre nach dem Auffliegen des NSU-Kerntrios bis auf ganz wenige Momente unbekannt.

Spätestens seit Dezember 2011 ist klar, dass die drei nicht ständig in einer Wohnung zusammengelebt haben können. Dafür spricht unter anderem der viel zu geringe Wasserverbrauch. Doch offenbar hat sich nie ein Ermittler aufgemacht, in Zwickauer Supermärkten nach einer jungen Frau, die immer Sekt und Katzenfutter kaufte, zu fragen. Oder bei Bäckern, Ärzten, dem Postmann, dem Heizungsableser.... Nicht einmal den Rechtsanwalt, zu dem sich Zschäpe nach einem Streit mit ihren Freunden fahren ließ, hat man offenbar gesucht. Dabei war das nur drei Tage, bevor der NSU hochging.

Dafür hat man sorgsam darauf geachtet, keinem V-Mann auf die Füße zu treten. So habe jederzeit, sagt BKA-Mann Kühn, »eine absolut offene Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz gegeben«.

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