Walzer tanzen in Wien und eine schallende Ohrfeige in Rom

Zwiespältige Reaktionen auf die Abstimmungsergebnisse in Österreich und Italien

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Berlin. Eher zurückhaltend wünschte EU-Ratspräsident Donald Tusk dem künftigen österreichischen Präsidenten Alexander Van der Bellen nach dem Wahlsieg vom Sonntag Erfolg »zu einer Zeit, in der wir vor schwierigen Herausforderungen stehen«. Hingegen sprach EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) von einer »schweren Niederlage für Nationalismus, Rückwärtsgewandtheit und antieuropäischen Populismus«.

Die Bundesregierung begrüßte das Ergebnis, wollte aber mit der Gratulation bis zum amtlichen Endergebnis warten, ließ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mitteilen. Weniger unauffällig freute sich Vizekanzler und SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel über einen »Sieg der Vernunft«. Ganz Europa falle ein Stein vom Herzen. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier lobte ein »gutes Zeichen gegen Populismus in Europa«.

Über eine »gute Nachricht« freute sich Bernd Riexinger, Vorsitzender der Linkspartei: »Österreich bleibt ein Rechtspopulist als Bundespräsident erspart.« Fraktionschef Dietmar Bartsch forderte: »Soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherheit müssen endlich die Tagesordnung in Europa bestimmen. Nur dann lässt sich den Rechten in der EU wirksam das Wasser abgraben.« Die Grünen-Parteichefs, Simone Peter und Cem Özdemir, erklärten, sie freuten sich, dass »sich in Österreich Weltoffenheit und Toleranz durchgesetzt haben«.

Aus Frankreichs gratulierte Präsident François Hollande: »Das österreichische Volk hat sich für Europa und Offenheit entschieden.« Sein Ministerpräsident Manuel Valls folgerte: »Der Populismus ist nicht Europas Schicksal.« Die Chefin der französischen Front National, die Rechtspopulistin Marine Le Pen, lobte hingegen, die FPÖ habe sich »mit Mut geschlagen«. Die Freiheitlichen würden die nächsten Parlamentswahlen gewinnen. Doch erst einmal jubelte Griechenlands Außenminister, Nikos Kotzias, er wäre »gerne in Wien und würde Walzer tanzen bis spät in die Nacht. Einen Walzer der Freude.«

Über eine »wahrhaft gute Nachricht für Europa« freute sich Italiens Außenminister Paolo Gentiloni. Dazu hatte sein eigenes Land mit dem Nein im Referendum und dem Rücktritt des Premiers Matteo Renzi offenbar nicht beigetragen. Es bedurfte des Trostes und der Selbstberuhigung. So wiegelte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn ab, er erwarte zunächst keine drastischen Folgen für die EU. Allerdings räumte er ein: »Für den Euro wäre es schlecht, wenn sich die Regierungskrise lange hinzöge.«

Bundeskanzlerin Merkel bedauerte den Abgang des Amtskollegen. Regierungssprecher Steffen Seibert erinnerte, die Kanzlerin habe »sehr gut« mit Renzi zusammengearbeitet und dessen Reformkurs in den vergangenen Jahren unterstützt. Ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) beschwichtigte, er sehe durch den Ausgang der Volksabstimmung in Italien keine Gefahr für den Euro. Die Reaktionen auf den Finanzmärkten seien »entspannt«. Er glaube, »es gibt keinen Grund, von einer Eurokrise zu reden« und »ganz sicher keinen Grund, sie herbeizureden«.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg beschwor in Brüssel aber vorsorglich das transatlantische Bündnis. Er erwarte, dass Italien ein wichtiger Partner bleibt. Er freue sich darauf, auch in Zukunft eng mit Italien zusammenzuarbeiten.

Eine politische Neuausrichtung in der EU forderte nach dem Nein beim Referendum LINKE-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. »Wieder hat in einem Land das Establishment eine schallende Ohrfeige bekommen«, sagte sie. »Die italienische Bevölkerung hat mit übergroßer Mehrheit gegen weiteren Sozial- und Demokratieabbau gestimmt und den Euro-Befürworter Renzi abgewählt.« Wenn die Regierenden in Berlin und Brüssel daraus nicht endlich Konsequenzen zögen, »dürfte der Vormarsch der Rechten in Europa kaum zu stoppen sein«.

Die Gunst der Stunde nutzen wollte die stellvertretende AfD-Vorsitzende Beatrix von Storch. Sie forderte eine Volksabstimmung auch in Deutschland. »Gratulation an die Italiener zu ihrem demokratischen Votum. Die Bürger müssen souverän und demokratisch entscheiden, ob sich Deutschland zukünftig weiter an der Rettung anderer Staaten wie Italien beteiligen und deren Schulden tragen soll.«

An sich selbst dachte Russlands Führung in Moskau. Die Abstimmung sei innere Angelegenheit Italiens, die Russland nicht kommentieren werde, erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow. »Was aber Herrn Renzi betrifft, so ist seine Rolle bei der Entwicklung der russisch-italienischen Beziehungen in diesen schwierigen Zeiten gar nicht hoch genug zu schätzen.« Er habe am Dialog mit Russland festgehalten und nach Lösungen gesucht. Agenturen/nd

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