Schuldig und straffrei

Überraschendes Urteil im Verfahren gegen Frankreichs Ex-Finanzministerin Christine Lagarde

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Christine Lagarde, die Generaldirektorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), ist am Montag in Paris vom Gerichtshof der Republik wegen »Fahrlässigkeit« schuldig gesprochen worden, aber die Richter verzichteten auf eine Strafe. In der Urteilsbegründung heißt es, Lagarde habe »schuldhafte Fahrlässigkeit im Amt« an den Tag gelegt, doch angesichts der Umstände und ihrer Persönlichkeit könne auf eine Strafe verzichtet werden. Mit dem Schuldspruch stellt sich das Gericht gegen den Antrag von Generalstaatsanwalt Jean-Claude Marin, der auf Freispruch plädiert hatte, da die Ministerin »in zumindest stillschweigender Übereinstimmung mit dem Premierminister und dem Präsidenten« gehandelt - oder präziser gesagt nicht gehandelt - habe.

Das Sondergericht, das aus drei Berufsrichtern und zwölf Abgeordneten der verschiedenen Parteien besteht und über das Fehlverhalten von Ministern während ihrer Amtszeit zu urteilen hat, war noch zur Amtszeit von Präsident Nicolas Sarkozy von Parlamentariern der linken Opposition angerufen worden. Ihr Vorwurf lautete, Lagarde habe als Finanzministerin 2008 den außergerichtlichen Spruch eines Schiedsmännergremiums, dem Geschäftsmann Bernard Tapie aus der Staatskasse 403 Millionen Euro Schadenersatz zu zahlen, weder angefochten noch verhindert. Durch diese »Fahrlässigkeit« sei dem Staat schwerer Schaden entstanden, befand seinerzeit die Opposition. Inzwischen haben Ermittlungen ergeben, dass einer der Schiedsmänner mit Tapie befreundet war und wohl die Entscheidung zu seinen Gunsten beeinflusst hatte. Zur Zeit läuft ein Ermittlungsverfahren gegen Tapie und die Schiedsmänner wegen »bandenmäßigen Betrugs«.

Vor dem Gerichtshof der Republik hatte Lagarde zu ihrer Verteidigung erklärt, sie habe seinerzeit zugunsten des Schiedsspruchs entschieden, um ein sich schon seit mehr als 20 Jahren hinziehendes Verfahren endlich zum Abschluss zu bringen und nicht noch mehr Verfahrenskosten auflaufen zu lassen. Bei dem Rechtsstreit ging es darum, dass der Geschäftsmann Bernard Tapie die staatseigene Bank Crédit Lyonnais beauftragt hatte, sein Unternehmen Adidas zu verkaufen, und dass er dabei übervorteilt wurde, weil die Bank die Firma von ihm für eine Milliarde Francs übernahm und für zwei Milliarden Francs weiterverkaufte.

Lagarde argumentierte außerdem, sie habe die Affäre Tapie nur am Rande verfolgt, weil sie in dieser Zeit vor allem mit der Bewältigung der Finanzkrise befasst war. Um das Schiedsverfahren habe sich ihr Kabinettschef Stéphane Richard gekümmert. Der heutige Vorstandschef des Telekomunternehmens Orange kam der Vorladung als Zeuge nicht nach, weil - wie seine Anwälte erklärten - gegen ihn in derselben Angelegenheit ein Ermittlungsverfahren der Justiz läuft.

Richards Partner im Fall Tapie war Claude Guéant, Elysée-Generalsekretär und enger Vertrauter von Präsident Sarkozy. Er erklärte vor Gericht, im Einvernehmen mit dem Präsidenten »keine Weisungen gegeben und keinen Druck ausgeübt, aber auch kein Veto eingelegt« zu haben. Ein anderer Zeuge, Bruno Bezard, damals Direktor im Finanzministerium, sagte aus, dass die Ministerin von der Verwaltung »wiederholt und sehr eindringlich« vor dem Schiedsverfahren und dem drohenden Schaden für die Staatsfinanzen gewarnt wurde, sie sich aber darüber hinwegsetzte.

Das merkte zwar auch Generalstaatsanwalt Claude Marin in seinem Plädoyer an. Doch letztlich hielt er es für »nachvollziehbar, dass ein Minister eher den Intentionen seiner Vorgesetzten folgt als den Ratschlägen der eigenen Mitarbeiter«.

Welche Folgen der Schuldspruch in Paris für die politische Karriere Lagardes in Washington hat, ist noch unklar. Auf jeden Fall besteht Gesprächsbedarf. »Es ist zu erwarten, dass der Vorstand in Kürze zusammentritt, um die jüngsten Entwicklungen zu diskutieren«, sagte IWF-Kommunikationschef Gerry Rice. Das Gremium hatte bereits in früheren Sitzungen über die Folgen des Gerichtsverfahrens für Lagarde diskutiert.

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