Plätzchenbacken in den Tropen

Deutsche Einwanderer begehen die Weihnachtszeit in Thailand mit vertrauten Ritualen

  • Michael Lenz, Bangkok
  • Lesedauer: 3 Min.

Begeistert stechen die Kinder an dem großen Tisch im Wohnzimmer Plätzchen aus. Teigreste, Mehl - im Nu sieht der Boden ringsrum aus wie Sau. »Das gehört halt dazu«, lacht Katinka Kaiser. Die Mütter assistieren dem Nachwuchs bei Makronen und Vanillekipferl, während die Väter beim Glühwein miteinander über Weltläufe und die Vorzüge der Musik von Johann Sebastian Bach plaudern. Für Teig, Förmchen, Nudelhölzer und natürlich bunte Zuckerstreusel, Schokoguss und Nüsse zum Verzieren der Plätzchen haben die Mütter gesorgt.

Als einziger Erwachsener gibt sich Chris Hesse leidenschaftlich dem Plätzchenbacken hin. »Das mache ich zum ersten Mal in meinem Leben«, bekennt der kinderlose Fachmann für elektronische Flugzeugsysteme. »Ich habe meine Mutter gebeten, mir ihre Plätzchenrezepte zu verraten«, erzählt der 44-jährige Berliner. »Ich war enttäuscht, als sie mir Dr.-Oetker-Rezepte schickte. Ich hatte immer gedacht, Mutter hätte ihre ganz eigenen Spezialrezepte.« Backanfänger Hesse erweist sich als Naturtalent. Seine Kulleraugen - Plätzchen mit gehackten Mandeln und Geleefüllung - sind der Hit.

Die deutschen Expats sind sich einig: tropischer Sonnenschein hin, Palmen her, Weihnachten ohne die heimeligen Traditionen von Glühwein über Adventskranz bis hin zum Weihnachtsgottesdienst geht gar nicht. Auf einen echten Weihnachtsbaum allerdings wird in diesem Jahr so mancher Deutsche in Bangkok verzichten müssen. Aus Kostengründen hat Ikea Singapur zum ersten Mal seit 20 Jahren keine Tannenbäume aus Schweden eingeflogen. Betroffen von dem Importstopp ist auch die Filiale in Bangkok.

Allerdings feiert nicht jeder Deutsche Weihnachten in der Wahlheimat Bangkok. Jörg und Bärbel, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung sehen möchten, fahren mit den Kindern nach Bali, wo sie die Feiertage mit Freunden am Strand verbringen wollen. Die Kaisers aber gehören zur größeren Fraktion jener, die mit Kind und Kegel über die Weihnachtstage zu Familie und Freunden in Deutschland fliegen.

Bangkoks Shopping Malls verzichten aus Trauer um den verstorbenen, hochverehrten König Bhumibol auf die sonst so üppige Weihnachtsdekoration. Trotzdem müssen die Auslandsdeutschen nicht auf die geliebten Adventsrituale verzichten. »Bei Otto« und im »Deutschen Eck« steht Gänsebraten auf der Festtagskarte. In den Supermärkten der großen Shopping Malls in der Sukhumvit Straße gibt es Christstollen, Lebkuchen und Dominosteine.

Für den religiösen Teil, also das eigentliche Weihnachten, sind Jörg Dunsbach und das Ehepaar Annegret Helmer und Ulrich Holste-Helmer zuständig. Ersterer ist der Pfarrer der deutschsprachigen katholischen Gemeinde in Bangkok, während das Pastorenehepaar die deutschsprachigen evangelischen Expats betreut.

Alle Jahre wieder richten die drei Priester die Nikolausfeier ganz ökumenisch aus. 45 Kinder und 55 Erwachsene sind in diesem Jahr zum Nikolaus in den Hof des Pfarrhauses der evangelischen Gemeinde gekommen. Bevor der Nikolaus, dargestellt von Ulrich Holste-Helmer im Bischofsoutfit statt mit rotem Mantel und Rauschebart die Kinder mit einem Säckchen voller Süßigkeiten beglückt, erzählt Dunsbach die Geschichte des historischen Nikolaus. Damit die Kinder zuhören, hat sich der Saarländer was Besonderes ausgedacht: er hat Szenen aus dem Leben des Bischofs aus dem türkischen Myra mit Playmobilfiguren nachgestellt. Die Kinder sind begeistert, hören zu, verfolgen mit glänzenden Augen die Playmobildiashow. Auch Dunsbach freut sich: Mission erfüllt.

Dann ist im Schatten des Mango- und des Frangipanibaums das Adventsbuffet mit Christstollen, Kuchen, Plätzchen, Tee, Kaffee und Cola eröffnet. Martin Zamin aber fehlt etwas. »Warum gibt es kein Bier?«, fragt er verwundert. Der kleine Österreicher ist sechs Jahre alt. Sein Vater Christian lacht auf. »Irgendwie ist Martin fasziniert von Bier.« Vom Christkind hat sich Martin Pokemon gewünscht. Dafür muss er viele Tausend Kilometer zurücklegen. Weihnachten feiern die Zamins nämlich zu Hause in Graz. Papa Zamin sagt: »Zu Weihnachten kommt halt immer die Sehnsucht nach Heimat auf.«

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