Starker schwacher Staat

Georg Fülberth über Forderungen der CDU zur inneren Sicherheit im beginnenden Bundestagswahlkampf

  • Georg Fülberth
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Thomas de Maizière, lange angezählt, ja für politisch halbtot erklärt, ist wieder da. Seit dem Berliner Attentat sieht er sich bestätigt und gibt den besonnenen harten Mann. Jetzt schlägt er vor, in der Terrorismusbekämpfung den Länderpolizeien Kompetenzen zu entziehen und an den Bund zu übertragen. Ausdrücklich spricht er vom »Starken Staat«, der jetzt nötig sei. Den hat auch die Bundeskanzlerin in ihrer Neujahrsansprache ausgerufen, behauptete da aber, es gebe ihn schon. Trotz dieser kleinen Nuance darf de Maizière davon ausgehen, dass er - anders als zeitweilig in der Flüchtlingsfrage - mit ihr eines Sinnes ist.

Das ist unter anderem Wahlkampf. Der AfD soll ein Thema weggenommen werden. Dass SPD, Grüne und LINKE dagegen sind, gehört ins Kalkül: Lagerwahlkampf.

Die Zentralisierung der Polizei wäre nur mit einer Grundgesetzänderung zu machen. In dieser Legislaturperiode wird nichts mehr daraus. De Maizière ist das recht. CDU/CSU und SPD geht es gleichermaßen um Profilierung im Bundestagswahlkampf. Hinterher wird man sehen, wer einknickt.

Allerdings sind die Reihen der Union noch nicht geschlossen. Regierende Länderpolitiker, auch der CDU, äußern sich gegen eine weitere Schwächung des Föderalismus. Regionale Ortskenntnis könne für die Fahndung besser sein als eine Super- Zentralisierung. Stattdessen müsse man mehr für den horizontalen und vertikalen Datenfluss tun. Diese CDU-interne Opposition könnte den Vorwahlkampfschwung hemmen. Vielleicht muss man sie aber nicht zu ernst nehmen. Bei der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs haben die Ministerpräsidenten ja gerade einer Aushöhlung des von ihnen sonst gern gehüteten Föderalismus zugestimmt. Das wurde ihnen durch finanzielle Zuwendungen des Bundes abgekauft. In Sachen Innerer Sicherheit ist ein solcher Tauschhandel nicht sehr nahe liegend.

Die Hoffnung von Merkel und de Maizière, AfD, Pegida sowie »Reichsbürgern« durch die Aussicht auf eine starke Exekutive das Wasser abzugraben, könnte trügen. Die setzen weniger auf Behörden als auf die Selbstermächtigung des von ihnen in Bewegung gesetzten und teilweise erst erzeugten Mobs. Und der sieht sich als »Volk«, das eher froh ist, wenn der Staat gegen seine Aufläufe und Anschläge gar nicht so stark ist. Spätestens seit der jüngsten Kölner Silvesternacht muss man die Polizei nicht mehr gegen fremd aussehende Menschen zum Jagen tragen. Wenn es gegen Rechts geht, sieht das ganz anders aus, und die Völkischen sind damit sehr zufrieden. Mit der Aussicht auf eine strammere öffentliche Gewalt sind sie nicht wiederzugewinnen.

Nur scheinbar steht Merkels und de Maizières Parole im Gegensatz zu einem anderen Schlagwort: Schlanker Staat. Der war zunächst eine Lieblingsidee der FDP, aber die CDU hat sie der Sache nach gern übernommen. Auf ihrem Leipziger Parteitag 2003 wurde der Sozialstaatler Norbert Blüm abgemeiert und der weitgehende Abbau staatlicher Interventionen in die Wirtschaft verkündet. Damit hatte schon die Schröder-Regierung begonnen, aber Merkel war das noch nicht genug. Ergebnis ist seitdem ein immer weiteres Auseinanderdriften der Gesellschaft, vor allem eine zunehmende Spaltung von Oben und Unten. Das so proklamierte und praktizierte Recht der wirtschaftlich Stärkeren führt zu einer Verrohung, in der der Rechtspopulismus gedeiht.

Entstaatlichung findet nicht nur im Innern, sondern auch im außereuropäischen Süden statt: Deutsche Unternehmen, begünstigt durch Lohn-, Steuer- und Abgabendumping, konkurrieren dort Industrien nieder oder lassen sie gar nicht erst entstehen. Staaten brechen zusammen. In ihren Ruinen werden Bürgerkriege geführt, auch mit Hilfe deutscher Waffenexporte. Wenn die Opfer solcher Entstaatlichung nach Europa fliehen, erhebt sich der Ruf nach dem starken Staat. Dieser kann weitgehend rechtlose Geflüchtete leichter unter Kontrolle halten als wahlberechtigte Einheimische, die gern nach unten treten. Er hat Schlagseite.

Innere Sicherheit ist ein öffentliches Gut. Es bedeutet, wegen der Ängste und berechtigter Wünsche zahlreicher Menschen, insbesondere für ihre Familien, viel. Demagogischer Missbrauch ist eine große Versuchung für einfallslose Politiker, die von Prävention durch Integration und einen starken Sozialstaat nichts halten. Der Kampf dafür ist in der jetzigen Situation nicht leicht zu führen, aber unerlässlich.

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