Rechte Angriffe im Schutze der Nacht

Wer steckt hinter der Serie von Neonazigewalt? Ein Spurensuche in Neukölln

  • Paul Liszt
  • Lesedauer: 4 Min.

Eingeworfene Fensterscheiben an Wohnungen von Antifaschisten, auf Hauswände gesprühte Drohungen und Brandanschläge auf Autos und ein kollektiv betriebenes Café – besonders im Norden Neuköllns häufen sich seit Monaten rechtsextreme Angriffe. Im Dezember erreichte die aktuelle Serie, die im Frühsommer vergangenen Jahres begonnen hatte, ihren bisherigen Höhepunkt. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) zählte innerhalb von weniger als drei Wochen mehr als ein Dutzend Aktionen.

Die Täter kamen bisher stets in der Dunkelheit. Am frühen Samstagmorgen schlugen sie in der Britzer Hufeisensiedlung zum bisher letzten Mal zu. Die Neuköllner Bezirksverordnete der SPD, Mirjam Blumenthal, konnte das Feuer am Vorderreifen des Familien-VW gerade noch rechtzeitig löschen, der Schaden ist dennoch erheblich. Einschüchtern lassen will sich Blumenthal, die sich seit Jahren öffentlich gegen Rechtsextremismus engagiert, von der Attacke nicht. »Wir werden den Kampf gegen Rechtsextremismus noch verstärken«, kündigt die 44-Jährige an.

Szenekenner wiesen bereits mehrmals darauf hin, dass der weltoffene, multikulturelle Ruf des Bezirks bisweilen trügerisch sei. Eine aktive Neonaziszene existiere insbesondere in den südlichen Ortsteilen bereits spätestens seit Mitte der 1980er Jahre. Die Vermutung, dass hier ein Zusammenhang besteht, liegt nahe. Wenige Tage vor dem Anschlag auf eine Rudower Buchhandlung etwa versuchte ein in Neukölln aktiver Rechtsextremer sich Zutritt zu einer dort stattfindenden antirassistischen Veranstaltung zu verschaffen, wie Besucher dem »nd« berichteten.

Nachdem die Szene in Rudow zunehmend unter Druck geriet, organisierten sich ihre Aktivisten verstärkt in berlinweiten Neonazi-Netzwerken. Diese haben sich besonders die Bekämpfung des politischen Gegners von Links auf die Fahnen geschrieben, die sogenannte »Anti-Antifa«-Arbeit. Obwohl die Polizei bisher weder zu den aktuellen noch zu früheren Angriffen Ermittlungserfolge präsentieren konnte, geht die MBR davon aus, dass hinter den Anschlägen Personen aus der Struktur des ehemaligen »Nationalen Widerstands Berlin (NW-Berlin)« stecken, die nun unter dem Label »Freie Kräfte Berlin Neukölln« (FKBN) auftreten. Der Verfassungsschutz sprach, als die Gruppierung zum Jahrestag der Novemberpogrome 2016 auf ihrer inzwischen gelöschten Facebook-Seite eine Karte mit jüdischen Einrichtungen veröffentlichte, gegenüber der »Berliner Zeitung« von einer »Handvoll« Personen.

In den Blick geraten waren die »Freien Kräfte« bereits zuvor, als sie im August vergangenen Jahres eine Liste mit den Adressen linker Einrichtungen veröffentlichten. Überschrieben war die Liste mit »Neukölln wehrt sich«. Die FKBN agieren anonym. Nach nd-Recherchen führt jedoch eine Spur zur Neuköllner NPD. Auf ihrer Facebook-Seite teilt diese die Grafik und bedankt sich bei den »Freien Kräften«. »Folgende Vereine und Institutionen sind für den Niedergang in unserem Bezirk verantwortlich«, heißt es in dem Beitrag, der immer noch abrufbar ist.

Laut Kopien eines inzwischen abgeschalteten Internetblogs der FKBN, die dem »nd« vorliegen, wurde unter der Rubrik »Kontakt« zumindest zeitweise auf den NPD-Kreisverband Neukölln verwiesen. Langjähriger NPD-Kreisvorsitzender in Neukölln ist Sebastian Thom. Dieser stand in der Vergangenheit dem Netzwerk »NW-Berlin« nahe, das öffentlich politische Gegner mit Namen und Fotos auf sogenannten Feindeslisten an den Pranger stellte. Das Rechtsextremismus-Fachportal »blick nach rechts«, berichtet etwa von einer Hausdurchsuchung bei Thom, der verdächtigt worden sein soll, gemeinsam mit einem weiteren Neuköllner Rechtsextremen Propagandaparolen an Hauswände gesprüht und anschließend Fotos davon auf der Internetseite »nw-berlin.net« hochgeladen zu haben.

In einem Eintrag auf einer rechtsextremen Szeneseite wird über Thom berichtet, er sei nach einer einjährigen Haftstrafe im Mai 2016 aus dem Gefängnis entlassen worden. Das wäre unmittelbar vor Beginn der aktuellen Anschlagsserie gewesen. Die »bz« hatte im Dezember darüber berichtet. Martin Steltner, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, kann diese Information auf Anfrage nicht bestätigen. Auch in der Pressestelle der Berliner Strafgerichte ist keine zu den Daten passende Verurteilung bekannt, allerdings mehrere ältere Urteile gegen Thom.

So verurteilte ihn das Amtsgericht Tiergarten im Jahr 2013 zu einer viermonatigen Gefängnisstrafe wegen Bedrohung von Passanten, die er verdächtigte, NPD-Plakate entfernt zu haben. Damals mit auf der Anklagebank saß Julian B. Ein weiteres Verfahren gegen B., der bei den Abgeordnetenhauswahlen 2011 in Neukölln erfolglos als NPD-Direktkandidat angetreten war, wegen Öffentlicher Aufforderung zu Straftaten wurde im Jahr darauf nur angesichts schwerer wiegender Vorwürfe eingestellt. Er hatte zusammen mit weiteren Neonazis auf einem Foto mit einem Transparent mit der Aufschrift »Linke Strukturen angreifen und vernichten« posiert. Unterschrieben war die Parole mit dem Kürzel FKBN.

Sebastian Thom war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Der ehemalige NPD-Landesvorsitzende Sebastian Schmidtke sagte in einem Telefonat mit dem »nd«, Thom sei seit Ende 2016 nicht mehr Kreisvorsitzender in Neukölln. Auf Nachfrage zu der Anschlagsserie auf linke Cafés und die Privatwohnungen von politisch engagierten Personen verwies Schmidtke auf öffentlich ausgetragene Streitigkeiten unter linksradikalen Gruppen.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal