Wehrhahn: Mutmaßlicher Bomber verhaftet - Er war ein Nazi

Rechtsradikaler sitzt in Untersuchungshaft / Tat vom Juli 2000 offenbar aufgeklärt / LINKE: Mögliche Verbindungen zum Netzwerk des NSU genau prüfen

  • Lesedauer: 5 Min.

Düsseldorf. Fast 17 Jahre nach dem Bombenanschlag am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn mit überwiegend jüdischen Opfern hat die Polizei einen Verdächtigen festgenommen. Das teilten die Behörden am Mittwoch mit. Ein Richter habe Untersuchungshaft für den 50-Jährigen aus Ratingen angeordnet. Dabei handele es sich um einen Rechtsradikalen, der bereits unmittelbar nach der Tat festgenommen worden war, aber mangels ausreichender Beweise wieder freigelassen werden musste, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft und bestätigte Medienberichte.

Der Verdächtige betrieb damals in der Nähe des Tatorts einen Militaria-Laden und galt als Waffennarr. Weitere Details wollen die Behörden am Nachmittag bekanntgeben.

Am 27. Juli 2000 um 15.04 Uhr war am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn eine Rohrbombe explodiert, gefüllt mit dem Sprengstoff TNT. Ein Metallsplitter drang in den Bauch einer schwangeren Frau ein und tötete ihr ungeborenes Baby. Die Frau schwebte in Lebensgefahr. Der Splitterhagel reichte 100 Meter weit. Insgesamt wurden zehn Menschen verletzt - überwiegend jüdische Einwanderer aus Osteuropa. Die Opfer kamen vom Deutschunterricht an einer Sprachschule.

Den Ermittlern zufolge hatte der Hinweis eines Häftlings vor gut zwei Jahren neue Ermittlungen zu dem Attentat vom Juli 2000 ausgelöst. Der Inhaftierte berichtete demnach von einem Mitinsassen, der sich mit dem Anschlag »gebrüstet« habe. Bei dem Mitinsassen handelte es sich um den 50-Jährigen, der wegen einer anderen Strafsache in Haft saß.

Nach dem Hinweis des Inhaftierten entschlossen sich die Ermittler des Düsseldorfer Staatsschutzes, den Fall komplett neu aufzurollen. Eine neue Ermittlungskommission wurde eingerichtet, die sich mit einer Vielzahl operativer Maßnahmen an die Fersen des Verdächtigen heftete und noch einmal jede Spur, Akte und Vernehmung begutachtete und auch damalige Zeugen zum Teil erneut vernahm.

Auch das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt (LKA) wurde in die neuen Ermittlungen einbezogen. Ein Gutachten von LKA-Profilern trug wesentlich dazu bei, dass sich Jahre nach der Tat der Verdacht gegen den Mann erhärtete. So verfügte der Ex-Bundeswehrsoldat unter anderem über Kenntnisse im Sprengsatzbau.

»Die Vielzahl und insbesondere das Zusammenwirken der gegen ihn anzuführenden Indizien lassen nach derzeitiger Bewertung eine spätere Verurteilung des Beschuldigten ganz überwiegend wahrscheinlich erscheinen« erklärte der Düsseldorfer Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück.

Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sprach von einer »abscheulichen Tat«. In der Folgezeit schnellten die rechtsradikalen Straftaten in Deutschland in die Höhe, die Forderung nach einem NPD-Verbot wurde laut.

Ermittler verfolgten viele Jahre die falschen Spuren
Trotz gewaltigen Ermittlungsaufwands gelang es jahrelang nicht, die Tat aufzuklären. Im Sommer 2015, 15 Jahre nach dem Bombenanschlag, hatten die Ermittler noch einmal neue Ansätze verfolgt. Beweisstücke, darunter das deformierte Geländer, an dem die Bombe hing, sollten erneut und mit den zwischenzeitlich verbesserten technischen Methoden auf verwertbare DNA-Spuren untersucht werden.

Der Geländerabschnitt, an dem die Bombe hing, war herausgeschnitten und als Asservat verwahrt worden. Ein Spezialeinsatzkommando nahm den 50-Jährigen Ralf S. am Mittwoch fest. Was nun schließlich den Verdacht gegen ihn erhärtet hat, teilten die Behörden zunächst nicht mit.

Wenige Monate nach dem Wehrhahn-Anschlag war in Düsseldorf ein Brandanschlag auf die dortige Synagoge verübt worden. Daraufhin war Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in die Landeshauptstadt geeilt und hatte einen »Aufstand der Anständigen« gefordert.

Die Ermittler hatten beim Wehrhahn-Anschlag verschiedene Hypothesen verfolgt. Neben einer rechtsextremen Motivation hatten sie auch einen möglichen islamistischen Hintergrund überprüft. Als ein islamistischer Terrorist einige Jahre später gesteht, er habe mit seiner Gruppe Al Tawhid in Düsseldorf Anschläge auf Juden geplant, waren die Wehrhahn-Ermittler elektrisiert. Doch der ehemalige Leibwächter Osama bin Ladens hatte ein Alibi: Er war zur Tatzeit in einem Terror-Camp in Afghanistan.

Zudem war spekuliert worden, die Tat könnte von einer mafiaartigen osteuropäischen Gruppierung begangen worden sein. Nach Bekanntwerden der Mordserie des rechtsterroritischen NSU war intensiv geprüft worden, ob auch der Wehrhahn-Anschlag auf das Konto des Neonazi-Trios gehen könnte. Erhärten ließ sich dies nicht. »Die meisten Spuren gingen in Richtung Rechts«, erinnerte sich Kommissar Dietmar Wixfort später. Er leitete damals die Ermittlungen.

LINKE: Mögliche Verbindungen zum Netzwerk des NSU genau prüfen
Die antifaschistische Sprecherin der LINKEN, Martina Renner, bewertet die Sachlage etwas anders. Insbesondere im vorliegenden Fall müssten Verbindungen zum Netzwerk des NSU geprüft werden, auch wenn der Anschlag nicht unmittelbar Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt zugerechnet werden könne. Wir wissen »durch Untersuchungsausschüsse und den Münchener Prozess, dass das Netzwerk der Rechtsterroristen weit verzweigt war und bis heute aktiv ist«, so Renner und mahnt: »Die Ermittlungsarbeit ist noch nicht zu Ende.«

Die LINKE in Nordrhein-Westfalen warf den Ermittlungsbehörden dagegen »offensichtliches Versagen« vor. Unmittelbar nach dem Anschlag habe es »von antifaschistischen Gruppen sehr konkrete Hinweise« auf eine mögliche Verbindung zu S. gegeben, erklärte die LINKEN-Landessprecherin Özlem Alev Demirel.

Die Jüdische Gemeinde in Düsseldorf nahm die Verhaftung des Verdächtigen »vorsichtig optimistisch« zur Kenntnis. »Als Jurist bin ich natürlich vorsichtig und zurückhaltend. Erst einmal gilt die Unschuldsvermutung. Aber es gibt eine Verdichtung von Indizien, die dazu führen könnte, dass tatsächlich der Täter gefasst ist. Das bereitet uns vorsichtigen Optimismus und eine kleine Freude«, sagte Michael Szentei-Heise, der Direktor der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf. Agenturen/nd

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