Hautzellen auf der Überholspur

Neue Biologika sollen verstärkt gegen schwere Schuppenflechte zum Einsatz kommen

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 5 Min.

Rosacea, Urtikaria und Psoriasis - die Namen vieler Hautkrankheiten klingen fast schön und erinnern an Botanisches. Die Haut kann in den verschiedensten Formen »aufblühen«: rötlich entflammt das Gesicht bei der Rosacea, einem der häufigsten Hautleiden im Erwachsenenalter. In der Urtikaria - Nesselsucht - steckt Urtica, die Brennnessel. Die Quaddeln auf der Hautoberfläche gleichen den Flüssigkeitsansammlungen, die nach dem Kontakt mit Brennnesseln entstehen. Die Psoriasis zeigt sich hingegen in silbernen Schuppen und Plaques, mit einem roten Rand. Diese entzündlichen Erkrankungen, zu denen auch Akne und Neurodermitis gehören, zählen neben Hautkrebs zu den häufigsten Diagnosen der Dermatologen. Der damit verbundene Juckreiz treibt die Betroffenen zum Arzt. Psychisch zu schaffen macht vielen Hautkranken das Erscheinungsbild ihres Leidens. Oft gibt es keine endgültige Abhilfe - so wie bei der Psoriasis.

Von Schuppenflechte sind in Europa mindestens 3,7 Millionen Menschen betroffen, davon zwei Drittel mit einer mittleren bis schweren Form. In Deutschland gab es 2015 etwa zwei Millionen Patienten. Offenbar tritt das Leiden in höheren Breiten mit geringerer Sonnenstrahlung häufiger auf. Psoriasis entsteht, weil der normale Erneuerungsprozess der Haut durcheinander gerät. Normal heißt: die reifenden Hautzellen steigen durch mehrere Schichten von der Unterhaut über die Lederhaut bis zur Epidermis nach oben, bis sie verhornen und abgestoßen werden. Die Haut erneuert sich im Schnitt alle vier Wochen.

Bei der Schuppenflechte beschleunigen sich Wachstum und Reifung einiger Zellen. Sie treten vermischt mit unreifen Zeilen auf, können aber nicht abgestoßen werden. Aggressive Botenstoffe gelangen in die Hautzellen, die sich entzünden. Die Haut »erneuert« sich in nur fünf Tagen, aber nicht vollständig. Das Ergebnis sind juckende und trockene Stellen, es bilden sich typische silbrig glänzende, schuppige Plaques mit rotem Rand. Hinzu kommen Schmerzen, Spannungsgefühle und ein wachsender Juckreiz. Die Reaktion: ein fast zwanghaftes Kratzen.

Die chronisch-entzündliche Erkrankung verläuft in Schüben und ist nicht ansteckend. Beschrieben wurde sie schon im alten Griechenland, aber vermutlich mit Ekzemen, Krätze oder auch Lepra verwechselt.

Die Linderung der bis heute unheilbaren Autoimmunerkrankung ist für einige Patienten durch Kuren am Toten Meer möglich, manchmal zahlen sogar die Krankenkassen. Nötig wäre das alle zwei bis drei Jahre, so der Hautarzt Ralph von Kiedrowski, der eine Schwerpunktpraxis für Psoriasis im Westerwald betreibt. Die Symptome sind jedoch schon nach einem halben Jahr wieder da. Heute gibt es ein ganzes Spektrum von Behandlungsmöglichkeiten. 2015 wurden jedoch immer noch 80 Prozent der Patienten nicht zufriedenstellend behandelt. Jeder Dritte leidet an Folgeerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Beschwerden und Gelenkschmerzen.

Äußerlich wird mit Salben, Cremes und Lotionen therapiert. Hinzu kommen UV-Licht und Bäder. Außerdem versuchen Ärzte mit Tabletten, Injektionen und Infusionen das Immunsystem zu regulieren, unter anderem die Entzündungen zu beeinflussen. Seit 10 bis 12 Jahren sind zudem Biologika verfügbar. Dabei handelt es sich um Medikamente, die mit Hilfe von Organismen aufwendig hergestellt werden. Sie blockieren zum Beispiel Botenstoffe im Immunsystem und werden eher bei mittleren bis schweren Fällen eingesetzt, wenn die hergebrachten systemischen Therapien nicht wirken oder nicht vertragen werden. Biologika spritzt man entweder unter die Haut oder verabreicht sie über die Armvene. Allerdings können sie zum Beispiel schwere Infektionen oder andere unerwünschten Wirkungen auslösen.

Jedoch werden auf diese Mittel große Hoffnungen gesetzt. Als »segensreich« bezeichnet sie auch von Kiedrowski, da sie die Haut erscheinungsfrei machen. Zu den Biologika gehört der monoklonale Antikörper Secukinumab, der 2015 in der EU zugelassen wurde. Er neutralisiert den Botenstoff, der Eiterzellen befeuert. Diese verschwinden schon zwei Wochen nach Behandlungsbeginn aus der Haut. Vorgesehen ist das Präparat für Patienten mit mehr als zehn Prozent betroffener Hautoberfläche.

Vor knapp einem Jahre wurde Ixekizumab für mittelschwere bis schwere Plaque-Psoriasis zugelassen. In drei Langzeitstudien war innerhalb von 12 Wochen die Schuppenflechte ganz oder fast ganz zurückgegangen. Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehören Atemwegsinfektionen. Der monoklonale Antikörper soll in der EU in diesem Frühjahr auf den Markt kommen.

Apremilast ist das erste Psoriasis-Medikament zum Einnehmen, das in den letzten 20 Jahren in der EU zur Zulassung kam. Seit Februar 2015 verfügbar, hemmt es ein in Entzündungszellen aktives Enzym. Ende 2016 wurde jedoch in einem Rote-Hand-Brief über das Risiko von Suiziden unter dieser Medikation gewarnt. Von 105 000 Patienten, die das Mittel des Münchener Herstellers Celgene nach Markteinführung nahmen, entwickelten 65 bis März 2016 suizidale Gedanken, es kam zu fünf Suiziden und vier Selbsttötungsversuchen. Nach Absetzen des Medikaments besserte sich bei der Hälfte der Patienten der psychische Zustand. Obwohl Schuppenflechte selbst die Betroffenen bereits psychisch belastet, wurde der Nutzen des Medikaments höher bewertet als das Risiko. Entsprechend hoch ist die Verantwortung der Ärzte bei der Therapieüberwachung.

Viele Patienten tendieren eher zum Verstecken der Krankheit. Sie versuchen, die betroffenen Stellen mit Kleidung zu verdecken, manche ziehen sich aus ihrem Umfeld zurück, resignieren in Bezug auf die Behandlung und entwickeln Depressionen. Alarmierend ist, dass angesichts verschiedener Erscheinungsformen der Krankheit mehr als jeder Fünfte damit noch keinen Hautarzt aufgesucht hat. Mit der Kampagne »Bitte berühren« versucht seit Anfang 2016 ein Bündnis aus medizinischen Experten und Selbsthilfeorganisationen, unterstützt von der Industrie, die psychologische Hilfestellung zu verstärken.

www.bitteberuehren.de

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