Mit dem Süßen wählen gehn

Bernauer Linksfraktion nimmt beim Ascherfreitag Bürgerentscheid zum Rathaus aufs Korn

Zumindest mit Plakaten haben sie nicht gespart, die Gegner und Befürworter eines Rathausneubaus in Bernau (Barnim). Die Stadt hängt voll damit. Am Sonntag waren die 32 000 Wahlberechtigten unter den 39 000 Einwohnern aufgerufen, bei einem Bürgerentscheid darüber befinden, ob der Neubau aufgegeben oder ausgeführt werden soll. Hintergrund ist eine Kostensteigerung von 9,8 Millionen Euro auf 15,8 Millionen - mindestens. Dabei wurde bis jetzt noch nicht einmal der erste Spatenstich gesetzt. Der Stadtverordnete Péter Vida fürchtet, es könnten sogar 20 Millionen Euro werden. Darum sollte die Stadt die Finger davon lassen, findet er.

Aber LINKE, SPD, Grüne und Piraten haben im Stadtparlament die Mehrheit, und sie haben im Oktober entschieden, das Projekt fortzuführen. Bei dem Bürgerentscheid sollten die Einwohner nun mit ihrem Kreuzchen erklären, ob der Beschluss vom Oktober aufgehoben und der Rathausneubau gestoppt wird oder nicht. Bei Redaktionsschluss lag noch kein Ergebnis vor, konnte noch nicht vorliegen, da zu diesem Zeitpunkt die Wahllokale noch geöffnet waren, die Auszählung der Stimmen noch nicht einmal begonnen hatte.

Am Freitag waren Rathausneubau und Bürgerentscheid das bestimmende Thema beim politischen Aschermittwoch der Bernauer Linksfraktion. Den Termin feiert sie traditionell immer erst am Freitag - mit einer Kabarettaufführung, bei der die Mitwirkenden aus der Fraktion und aus ihrem Umfeld kommen. Auch Bundestagskandidatin Kerstin Kühn spielte mit. Eingeladen wurde ins Ofenhaus, das erneut proppenvoll wurde. Weil sie keinen anderen Platz mehr fanden, setzten sich Zuschauer auf die Treppe zur Empore. Am Geländer der Empore hingen zwei Plakate der Linkspartei, die dazu auffordern, beim Bürgerentscheid den Stopp des Rathausneubaus zu verhindern.

Zu den Darstellern beim Ascherfreitag gehörte Fraktionschefin Dagmar Enkelmann, die als gestiefelte Katze verkleidet einer Touristin erklärt, was das für Gebäude sind, die auf der Videoleinwand eingeblendet werden: die »Kindergärtnerei«, das Dorfgemeinschaftshaus, die Grundschule. Unisono betont die gestiefelte Katze stolz: »Das hat unserer Bürgermeister gebaut.« Die Kinder seien ihm lieb und teuer. Prompt rufen einige der im Publikum verteilten Darsteller frenetisch: »Hoch unserer Bürgermeister, hoch, hoch!« Die Touristin sagt, ihr sei aufgefallen, dass es in der Stadt so viele Kinder gebe. Da bedauert die gestiefelte Katze: Die Kinder, die habe der Bürgermeister allerdings nicht gemacht.

Es ist nicht nur dieses eine Mal, dass Bürgermeister André Stahl (LINKE) auf die Schippe genommen wird. Stahl sitzt in der ersten Reihe und nimmt es mit Humor. Neben ihm hat Landtagspräsidentin Britta Stark (SPD) Platz genommen. Auch sie wird in verschiedene Nummern einbezogen und amüsiert sich prächtig. Selbst die CDU ist im Ofenhaus präsent. Der LINKE-Kreisvorsitzende Sebastian Walter ertappt ihre Vertreter dabei, wie sie an einer Stelle klatschen, an der die CDU ihr Fett wegbekommt.

Walter tritt mit einer blonden Perrücke ans Rednerpult und beugt möglichen Verwechselungen vor: Das solle nicht die Schlagersängerin Helene Fischer darstellen, sondern den US-Präsidenten Donald Trump. Zehn Minuten Redezeit seien ihm nur gewährt worden, beklagt Walter. Dabei könne ihm jeder etwas vom Sparen erzählen, nur kein Bernauer, frotzelt er. Seine Begrüßung lautet mit Blick auf den Rathausbau: »Liebe Bernauerinnen und Bernauer, liebe Verschwenderinnen und Verschwender!« Und mit Blick auf Bürgermeister Stahl: »Lieber Hauptverschwender!« Walter spricht ironisch von einem Schloss mit 300 Zimmern, 40 Toiletten und einer Dachterrasse, auf der sich die Mitarbeiter der Stadtverwaltung zum Schlafen legen können, wenn es ihnen im Büro zu ungemütlich sei. Und in Bernau-Birkholz funktioniere die Straßenbeleuchtung allein deshalb nicht, weil die Laternen eingeschmolzen worden seien für das Reiterstandbild von Dagmar Enkelmann vor dem neuen Rathaus.

Gegen diese Verhältnisse rebelliere der Anführer der »Vida-Stands-Bewegung«, Péter Vida, der »immer vida, vida und vida« jeden verklage. »Früher wurde solchen Leuten im Sandkasten die Schippe vor den Kopf gehauen.« Als Landtagsabgeordneter habe Vida für die Gruppe der Freien Wähler mehr Geld und mehr Räume gewollt und nach einem Urteil des Landesverfassungsgerichts tatsächlich 300 Prozent mehr Mittel zugestanden bekommen, so erinnert Walter, und die LINKE in Bernau bekomme mit ihrem »Möchtegern-Rathaus« nicht einmal eine 100-prozentige Steigerung hin. In Potsdam sitze Vida in einem Schloss mit 300 Zimmern, 40 Toiletten und einer Dachterrasse. »Das nennt sich Landtag.« Aber dem Bernauer Bürgermeister Stahl gönne Vida dergleichen nicht. Für Stahl »wäre ein Pappkarton am Bahnhof zu viel«. Diesen Teil seiner Rede schließt Walter mit den Worten ab: »Gehen Sie am Sonntag zum Bürgerentscheid und stimmen Sie mit Nein.« (Also für den Rathausneubau.) Donnernder Applaus ist die Reaktion.

Danach spricht Walter über den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz, den »Messias«, den »Che Guevara im Anzug eines Sparkassendirektors«. Keiner wisse, was der wolle, aber es höre sich einfach gut an. »Wenn der so weiter macht, verzeihe ich der SPD noch die Bewilligung der Kriegskredite 1914.« Walter legt die Hand ans Ohr: »Tzsch, Tzsch, Tzsch. Hören Sie es, der Schulz-Zug rollt. Frau Stark, haben Sie eigentlich schon eine Bahnsteigkarte?« Aber Schulz habe ein Problem - die eigene Partei. »Die SPD will mit Martin Schulz die Probleme lösen, die wir ohne sie gar nicht hätten.« Die Sozialdemokratie, verantwortlich für die Agenda 2010, habe ihr »linkes Halbjahr vor einer Bundestagswahl eingeläutet«.

Nachdem Walter die Bühne verlassen hat, geht es weiter mit allerlei kommunalpolitischen Themen, darunter Missstände bei der Bahnverbindung nach Berlin. Gedränge und Geschimpfe an der Haltestange. »Lasen Sie meinen Hintern los, das ist sexistisch«, schimpft eine Frau. Der kritisierte Fahrgast antwortet: »Nee, das ist Schienenersatzverkehr.«

Außerdem taucht in dem fast zweieinhalbstündigen Programm noch mehrmals das neue Rathaus auf. Enkelmann singt schmachtend den Bürgermeister Stahl an: »Ich bau' Dir ein Schloss für viele Millionen. Ich bau' Dir ein Schloss, denn Du bist König. Die dunklen Wolken ziehen schnell vorbei, am Sonntag, eins, zwei, drei.« Vor Lachen schnappen einige Zuhörer nach Luft. Im Schlusssong heißt es dann: »Am Sonntag will mein Süßer mit mir wählen gehn...«

Es war der achte politische Ascherfreitag der Bernauer Linksfraktion. »Die Themen gehen nicht aus. Sie liegen auf der Straße«, sagt Enkelmann.

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