»Warten aufs Desaster ist keine Strategie«

In New York haben die UN-Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot begonnen / Kritik an deutschem Boykott

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 3 Min.

»Warum sollte die Logik, die beim Verbot der chemischen und biologischen Waffen, Landminen und Streumunition gültig ist, nicht auch für Atomwaffen gelten?«, fragte der Wiener Delegierte Alexander Marschik im Eröffnungsplenum der UN-Verhandlungen. Der Einsatz solcher Waffen, die viel mehr Schaden anrichten, sogar das Leben auf der Erde auslöschen können, müsse ebenfalls verboten werden. Doch der Logik Österreichs folgen nicht alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. 123 der insgesamt 193 unterstützen die Verhandlungen in New York, darunter ist allerdings keiner der laut Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI weltweit neun Staaten, die über nukleare Sprengköpfe verfügen.

Auch die Bundesrepublik boykottiert den ersten Versuch, die gefährlichsten Massenvernichtungswaffen der Gegenwart zu ächten. Auf deutschem Boden sollen US-amerikanische Atombomben lagern, die im Ernstfall im Rahmen der sogenannten Nuklearen Teilhabe der NATO von Tornados der Bundeswehr eingesetzt werden könnten. Es geht dabei um Atombomben vom Typ B61-12 mit einer Sprengkraft von 1680 Kilotonnen TNT - etwa dem 80-Fachen der Hiroshima-Bombe. Deutschland hatte im Dezember in der UN-Vollversammlung gegen die Resolution zur Aufnahme der Verbotsverhandlungen votiert.

Washingtons UN-Botschafterin Nikki Haley machte sich jetzt am East River zur Sprecherin der Boykottstaaten: »Wir müssen realistisch sein. Glaubt irgendjemand, dass Nordkorea einem Verbot von Atomwaffen zustimmen würde? Nordkorea würde jubeln, während wir alle in Gefahr wären.« Der britische UN-Botschafter Matthew Rycroft behauptet sogar, dass die Verbotsverhandlungen die Bemühungen um nukleare Abrüstung behindern würden. In dieses Horn bläst man auch in Berlin, wenn das Auswärtige Amt erklärt, der begonnene Verhandlungsprozess könnte den Atomwaffensperrvertrag von 1968, das »Fundament« der Bemühungen um nukleare Abrüstung, »nachhaltig schwächen«.

Die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) spricht dagegen von einem historischen Schritt auf dem Weg zu einer friedlichen Welt. Sie nennt die deutsche Position eine politisches »Armutszeugnis«. Die Bundesregierung schade damit ihrer Glaubwürdigkeit im Bemühen um eine atomwaffenfreie Welt, betont ICAN-Vorstand Leo Hoffmann-Axthelm. Doch könnten die Kernwaffenmächte und ihre Verbündeten den UN-Prozess nicht aufhalten. Die überwältigende Mehrheit der Staaten habe erkannt, »dass es echte Sicherheit nur geben kann, wenn Atomwaffen verboten und abgeschafft sind«.

Ein völkerrechtlicher Vertrag solle Entwicklung, Herstellung, Lagerung, Weitergabe, Tests und den Einsatz von nuklearen Sprengköpfen ächten, heißt es in einem Dokument des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes über anzustrebende Prinzipien, die »auf der Anerkennung der katastrophalen humanitären Konsequenzen von Atomwaffen« basieren müssten. Ziel sei letztlich die Vernichtung aller Kernwaffen. Nach IACN-Angaben existieren weltweit noch immer rund 15 000 atomare Sprengköpfe, wobei die USA und Russland mehr als 90 Prozent dieser Waffen besitzen. Daneben verfügen China, Frankreich, Großbritannien, Indien, Israel, Pakistan und Nordkorea über eigene Arsenale.

Es gebe keine »falsche« Zeit, um Atomwaffen zu verbieten, so der österreichische Vertreter Alexander Marschik, der in New York ausdrücklich der Zivilgesellschaft für ihr jahrelanges Engagement für einen internationalen Vertrag dankte. »Wenn man die Gefahren anschaut - was ist die Alternative? Ist Nichtstun eine bessere Strategie? Auf ein Desaster warten ist keine Strategie.«

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