USA - Gläubiger ohne Reue

Trotz der Opfer im Bombenterror des Indochinakrieges soll Kambodscha Schulden bezahlen

  • Daniel Kestenholz, Bangkok
  • Lesedauer: 4 Min.

Offiziell war Kambodscha nie Schauplatz des Zweiten Indochinakrieges, wie der Vietnamkrieg der US-Amerikaner auch heißt. Dabei war Kambodscha furchtbaren Flächenbombardements ausgesetzt, mit denen Nachschubrouten der Nationalen Befreiungsfront NLF oder, wie es hieß, des »Vietcong« zerstört werden sollten.

Sämtliche US-Regierungen seither schoben die Schuldenfrage auf die lange Bank. Nun hat Amerikas Botschafter in Phnom Penh, William Heidt, an diesen Kredit erinnert. Kambodschas Premier Hun Sen ging seinerseits in die Offensive, dass der »Hilfskredit« endlich erlassen werde. Der Langzeitpremier, der sich bislang begeistert von Trump zeigte, klagte unlängst: »Oh, Amerika und Präsident Donald Trump, wie ist das möglich?« Die Zeitung »Cambodia Daily« zitierte ihn mit der Bemerkung: »Ihr habt uns angegriffen und verlangt, dass wir Geld zahlen.« Hun Sen unterstreicht, dass Amerika moralische Schuld trage an den Zerstörungen. Niemand weiß, wie viele Zehntausende Menschen starben. Washington sagt: Kredit ist Kredit.

Sollten die USA unter Präsident Trump tatsächlich auf der Begleichung der Schuld beharren, zeugte dies von einem sehr eigentümlichen Verständnis von Amerikas Rolle im Südostasien des Kalten Krieges. Verschiedene Historiker sehen indirekt auch Washington mitverantwortlich für den Aufstieg und das Mörderregime der Roten Khmer. Indem die USA 1970 den Sturz des Staatsoberhauptes und späteren Königs Norodom Sihanouk orchestrierten und Premier Lon Nol als Bollwerk gegen die anrückenden Kommunisten unterstützten, wurden Bedingungen für die Machtübernahme Pol Pots und den folgenden Genozid geschaffen.

Um das isolierte Lon Nol-Regime am Leben zu erhalten, offerierte Amerika das »Food for Peace«-Programm, Essen für Frieden. Dies geschah freilich nicht gratis. Den Antikommunisten in Phnom Penh wurden Reis, Weizen, Öl und Baumwolle im Wert von 274 Millionen Dollar verkauft. Im April 1975, der Zeit des Einmarsches der Roten Khmer in Phnom Penh, flohen die Amerikaner aus Kambodscha - mit ihnen Lon Nol, der bis zu seinem Tod im US-Exil lebte.

Wohl auch Hun Sen hatte auf bessere Zeiten unter US-Präsident Trump gehofft. Doch dessen Regierung verliert offenbar keine Zeit, den strategischen Winzling an uralte Verpflichtungen zu erinnern. Vergessen soll darüber sein, dass B-52-Bomber und andere Kampfflugzeuge der US-Streitkräfte von 1965 bis 1973 rund eine halbe Million Tonnen Sprengstoff auf das östliche Kambodscha fallen ließen. US-Präsident Richard Nixon hatte 1969 Bombenteppichabwürfe angeordnet. Er wollte Zeit gewinnen für den Abzug der US-Truppen aus Südvietnam und den Vormarsch der Roten Khmer aufhalten. Ganze Landstriche wurden entvölkert, kein Reis wurde mehr angebaut. Rund zwei Millionen Menschen strömten nach Phnom Penh. Kambodscha hungerte. Um einen Volksaufstand gegen Lon Nol abzuwenden, legten die US-Amerikaner ihr Kreditprogramm »Essen für Frieden« auf. Mit Zinseszinsen ist der Betrag auf heute 506 Millionen Dollar angewachsen.

Die Schuld erlassen, so ein Sprecher der US-Botschaft in Phnom Penh, könne lediglich der Kongress. Botschafter Heidt zeige sich der New York Times zufolge offen für ein »Abkommen, das für beide Seiten stimmt«. Kambodscha indes sagt, der von den USA gestützte Marionettenpremier Lon Nol, der Prinz Sihanouk stürzte, habe ein illegitimes Putschregime angeführt. Washington meint, Phnom Penh müsse die Verpflichtungen seiner Vorgängerregierungen erfüllen.

Wenn auch nicht auf Rosen gebettet, ist Kambodscha nicht mehr das Armenhaus Asiens und steht nicht länger am finanziellen Abgrund. Doch Premier Hun Sen, der Kambodscha seit den 80er Jahren regiert, konnte den USA nie vergeben, was seinem Land angetan worden war. Nach Trumps Amtsantritt inszenierte Hun Sen medienwirksam die Entschärfung von vier US-Bomben, die seit Jahrzehnten bei einem Tempel als Blindgänger lagen.

Weshalb auch, dürfte sich Hun Sen sagen, brauche er Amerika, wenn China längst alle Schulden gestrichen hat, die noch von den Roten Khmer herrührten, die einst von Peking unterstützt worden waren. Zudem gewährt China freigiebig zinsgünstige Kredite, während Trumps Washington jetzt an eine halbe Milliarde Dollar erinnert und dabei den historischen Zusammenhang ignoriert: Die USA zerstörten Ostkambodscha, um ihren Abzug aus Südvietnam zu schützen.

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