Über Ecken und Kanten

Frauen auf Skateboards sind heute beinahe alltäglich. Ein Besuch bei den Boarderinnen im Berliner Mellowpark

  • Samuela Nickel
  • Lesedauer: 8 Min.

Der Abend dämmert über Berlin-Köpenick. Dass Skateboarden eine laute Sportart ist, hört man im Mellowpark schon von Weitem: Metall kracht auf Metall, Holz schabt über Beton, harte Gummirollen rattern über rauen Asphalt. Drei Frauen wärmen sich im Skatepark für ihre heutige Session auf. Linda Ritterhoff - graue Mütze auf dem Kopf, Kopfhörer im Ohr - rollt mit ihrem Skateboard die Rampe hoch und schabt an der Kante des Betonklotzes entlang. »Ride with friends« ist auf eine der Steilwände hinter ihr gesprüht worden: »Fahr mit Freunden!«

Die 33-Jährige fährt seit 18 Jahren Skateboard. Angefangen hat sie einst »mit Kumpels«, schnell sei sie »auf dem Fahren hängengeblieben«. Und bis heute ist Skateboard ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens - auch beruflich. Linda Ritterhoff arbeitet für den gemeinnützigen Verein »Drop In«, der soziale Projekte fördert. Sie gibt Workshops in der Skatehalle Berlin und organisiert im Mai den »WCMX Workshop Berlin« (Wheelchair-Motocross) mit David Lebuser, einem professionellen Rollstuhlskater. »Jeder sollte Zugang zum Skateboard haben«, findet Linda Ritterhoff.

In den Mellowpark kommen wöchentlich die Mädchen und Frauen von »Grrroll« und »Skate Girls Berlin«. Die Skaterinnen-Crew »Grrroll« gibt es seit fünf Jahren: »Eine lockere Gemeinschaft von Mädels, die Skateboard fahren«, wie Ritterhoff sagt. »Skate Girls Berlin« wiederum ist eine Social-Media-Initiative, die seit September 2016 skatende Mädchen und Frauen untereinander vernetzt. Auf Facebook informieren sie Interessierte, wann sich die Frauen für Sessions in den Hallen, Parks und Straßen der Stadt treffen. Heute ist es der Mellowpark: Zur »Beginner-Session« sind auch Anfängerinnen willkommen.

Im Park wird es Abend, fast ist es zu dunkel zum Fahren. Gerade ist die Gruppe auf acht Frauen angewachsen, da kommt eine weitere Teilnehmerin dazu und fragt, ob sie hier richtig sei? Anna aus Zürich ist heute bei der Anfängerinnenrunde zum ersten Mal dabei. Die Sessions sind offen für jede und jedes Mal kommen auch neue Leute dazu. Anna fährt seit einem Monat Skateboard. Tagsüber war sie bereits im Park am Gleisdreieck und wollte dort den flachen Pool fahren. Pools, auch Bowls genannt, sind Elemente in Skateparks, die an leerstehende Schwimmbecken mit abgerundeten Ecken erinnern. Sie sind ein Fingerzeig auf die Anfangszeiten des Skateboardens in den USA, als die Fahrer private Swimmingpools zweckentfremdeten. Anna hat es am Gleidreieck nicht gefallen, besonders als die anderen anfingen, ihr Tipps zu geben wie: »Lass dir Zeit!« Anna wollte nicht belehrt werden, sondern skaten. Nun freut sie sich, dass sie noch nach Köpenick gekommen ist: »Es motiviert mich auch mehr, wenn ich andere Frauen beim Skaten sehe«, sagt sie.

Als es dunkel ist, ziehen die Mädels weiter in die Skatehalle. Hinter schweren Metalltüren öffnet sich eine weite Halle, gefüllt mit einer Landschaft aus Rampen, Kurven, Hügeln und Kanten. Es riecht nach dem Holz der Paletten und Spanplatten, aus dem die Elemente der Halle geformt sind. Die nackten Betonwände lassen die Stimmen, Rufe und Lacher der Fahrerinnen widerhallen. Linda Ritterhoff setzt zum Drop-In an: Sie stürzt sich von der Rampe hinunter. Ihre Rollen wummern im Auf und Ab ihrer Fahrkurven auf den Rampen.

»Um gut zu werden, reicht es nicht, nur einmal die Woche zu fahren«, sagt Ritterhoff. So kommt es dazu, dass sie auch mit Männern fährt. »Ich würde mir wünschen, dass es nicht notwendig ist, dass die Montagssessions so exklusiv sind« sagt sie. Als sie anfingen, sei es nötig gewesen, so eine Session etwas nur für Frauen anzubieten: »Aber nicht auf Dauer. Was es braucht, ist ein geschützter Raum, unabhängig vom Geschlecht«, sagt sie. Für sie sind die Sessions zum Skaten mit guten Freundinnen in kleiner Runde da. Sie hätte nichts dagegen, die Trainingseinheiten auch für Männer zu öffnen. Das Problem wäre dann allerdings, dass auch zu Skater kommen würden. In der Halle würde bei zu vielen Menschen schnell ungemütlich werden.

Die Sessions für Mädchen und Frauen fanden zuvor in der Skatehalle an der Warschauer Straße statt. Eine der Organisatorinnen war damals noch Yvonne Labedzki. Sie hatte 2006 angefangen, in der Halle zu arbeiten und fuhr dort mit Mitarbeiterinnen - montags, wenn die Halle geschlossen hatte. Schon bald dachte sie sich: »Das müssen wir für alle Frauen zugänglich machen.«

Labedzki hatte ihr erstes Skateboard mit zehn Jahren bekommen und war mit ihrem großen Bruder und anderen Jungs gefahren. »Das erste skatende Mädel habe ich mit 16 Jahren getroffen. Vorher war mir gar nicht aufgefallen, dass ich ja immer die einzige Skaterin bin. Ich hatte da auch nie drüber nachgedacht«, sagt sie.

Nun ist Yvonne Labedzki die Bundestrainerin der Skateboard-Frauenmannschaft für Olympia 2020. Bei den Sommerspielen in Tokio werden sich Skaterboarder und Skateboarderinnen in den Kategorien »Street« und »Park« miteinander messen. Bei »Street« werden nachgebaute Hindernisse der »Straße« befahren, wie beispielsweise Treppenstufen oder Geländer. Die Kategorie »Park« besteht aus abgerundete Elementen des »Street«-Bereich und einer Bowl. Viele Detailfragen seien noch offen, aber bei Labedzki herrscht schon Vorfreude: »Ich kann sagen, ich war die erste.« Sie findet Olympische Spiele und Skateboarden in Kombination sehr spannend, da solche Wettbewerbe dem Skateboarden und seiner Kultur nicht nahe lägen. »Zum Beispiel bei der Bekleidung: Werden die Fahrer dann Trikots tragen? Das widerspricht allem, wofür Skateboarden steht.« Jedoch gebe es dadurch mehr finanzielle Unterstützung vom Deutschen Olympischen Sportbund, die in die Nachwuchsarbeit fließt, vor allem auch für Mädchen. Und es wird ein gleichgroßes Starterfeld von 40 Männern und Frauen geben. »Das ist bei anderen Wettbewerben keinesfalls so«, sagt Labedzki aus Erfahrung.

Die 38-jährige Berlinerin mit ruhigem freundlichen Blick trägt auf den Knöcheln ihrer linken Hand die Buchstaben »S M T« tätowiert. Labedzki gehört zum Organisationsteam des Skateboardwettbewerbs »Suck My Trucks«, abgekürzt eben SMT. »Suck My Trucks« heißt übersetzt soviel wie »Lutsch meine Achsen!«. Labedzki lacht, als sie erklärt, dass der Name einst als freundlicher Mittelfinger gemeint gewesen sei: Gerichtet an gewisse Skateboarder, die sie und ihre Freundinnen auf dem Skateplatz »gestresst« hätten.

2010 gab es die erste Veranstaltung unter diesen Namen, im Sommer findet er wieder an der Warschauer Straße statt. Der Wettbewerb ist offen für alle, die sich als Frauen definieren und der erste Tag besteht traditionell aus einer gemeinsamen Session von verschiedenen Berliner Skateparks. Es gibt auch ein Preisgeld von insgesamt 2000 Euro, auf die verschiedenen Disziplinen und Plätze verteilt. Begleitet wird »Suck My Trucks« in diesem Jahr von der Ausstellung »Girls Skate History«: Dort wird die Geschichte der Frauen im Sport anhand von Texten, Bildern, Videos und Signature-Decks, also Brettern von Profifahrerinnen, gezeigt.

»Suck My Trucks« ist einer der wenigen Wettbewerbe dieser Art in Deutschland. Neben »SMT« gibt es den »Görls Go Skate« in Dortmund und das »GRRRLS Skate Fest« in Bielefeld. Bei der offiziellen Deutschen Skateboardmeisterschaft, dem COS Cup des »Club of Skaters« in Kooperation mit dem Deutscher Rollsport und Inline-Verband, fahren Skateboarder um den Titel des Meisters und seit 2016 auch der Meisterin. Im Vergleich zu den Männern starten aber nur sehr wenige Frauen bei den einzelnen Etappen des Wettbewerbs. Die Frauen bekommen kein Preisgeld, sondern nur Gutscheine, während es bei den Männern hohe Summen zu gewinnen gibt.

»Sexismus in der Skateboardszene wird bestimmt noch 20 Jahre ein Thema sein. Es ist ja ein gesellschaftliches Thema, warum sollte es beim Skateboarden anders sein? Aber durch Olympia werden die Karten neu gemischt«, glaubt Labdezki. Sie sagt, sie beobachte eine stetige Veränderung: »In den letzten drei Jahren ist viel Bewegung reingekommen, auch ein Blick für die anderen in der Szene.«

Mehr und mehr Mädchen skaten heute. »Es funktioniert und wir werden immer mehr. So wie wir es doch alle wollten.« Was ihrer Meinung noch besser sein müsste: »In der Skateboardkommission, die beispielsweise entscheidet, wie und wo die Parks gebaut werden, sind ausschließlich Männer«, sagt sie. »Wo sind die Frauen? Sie sollen nicht nur im Park skaten, sondern auch dort sitzen, wo die Dinge entschieden werden.«

Linda Ritterhoff vom Mellowpark sagt, auch sie habe das Gefühl, dass sich im Skateboarden viel verändere. Kleine Mädchen skateten wie selbstverständlich, es entstehe immer mehr Austausch. Berlin sei dafür ein gutes Pflaster. Wie man auch in Köpenick sehen kann: Mittlerweile hat sich die Session auf 15 Frauen vergrößert. Es knallt Holz auf Holz, Gummi rollt über Ecken und Kanten. Die Mädels hören Musik, machen Fotos oder filmen die Session. Manche fallen hin und stehen wieder auf. Als eine einen Trick landet, rufen die anderen »Yeah!« und klatschen mit ihr ab. Die Stimmung ist locker, dennoch sind alle motiviert.

An diesem Abend hat eine der Skaterinnen übrigens einen Freund mit nach Köpenick gebracht. Sie hatte die anderen vorher gefragt, ob es okay sei: Keine hatte etwas dagegen. So exklusiv ist die Session nun auch wieder nicht. Nun sitzt der Mann am Rand und schaut den Frauen beim Fahren zu. Früher war es meist andersherum.

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