Berlin wird Startup-Mekka bleiben

Widerstand in Kreuzberg hat keine Auswirkung, glaubt Florian Nöll vom Startupverband

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

In Kreuzberg regt sich Protest gegen Ansiedlungen von Digitalunternehmen. Wie ist Ihr Eindruck?
Mein Eindruck ist, dass wir ganz grundsätzlich in den letzten 15 Jahren erlebt haben, wie eine neue Branche in Berlin entstanden ist - die Digitalwirtschaft. Das hat dazu geführt, dass hier einige tausend neue Unternehmen gegründet worden sind. Berlin wusste lange nicht, wo es wirtschaftlich hingehört. Mit geschätzt über 100 000 Beschäftigten ist die Digitalwirtschaft einer der größten Arbeitgeber der Stadt. Aus unserer Sicht ist das sehr positiv.

Können Sie die Bedenken gegen den Google Campus im Umspannwerk nachvollziehen?
Bei der aktuellen Diskussion überrascht uns die Schärfe, mit der sie geführt wird. Bei Google geht es um zehn Mitarbeiter, die da wahrscheinlich arbeiten werden auf einer Fläche, die heute schon als Veranstaltungslocation genutzt wird. Das heißt, dass sich für die Anwohner gar nichts ändern wird. Und das färbt dann ab auf die deutsche Erfolgsgeschichte Zalando. Das sollte man jedoch voneinander trennen. Aus meiner Sicht können wir Google ganz vom Tisch nehmen.

Florian Nöll

Der 1983 geborene Florian Nöll ist Vorsitzender des von ihm 2012 mitbegründeten »Bundesverbands Deutsche Startups«, dem über 500 Firmen angehören.

Seine eigene Gründerkarriere begann im Jahr 2000 mit der »Web-Agentur NRW«. Seit dem Jahr 2005 engagiert sich der Wahlberliner in der Gründerförderung. Das CDU-Mitglied ist in verschiedenen Parteigremien rund um die Themen Wirtschaft und Digitalisierung aktiv. Im September 2016 kandidierte Nöll für die CDU in Mitte für das Abgeordnetenhaus. Für »neues deutschland« sprach mit ihm Nicolas Šustr.

Trotzdem gab es recht viel Aufruhr um diese spezielle Ansiedlung, sogar die »Revolutionäre 1. Mai-Demonstration« führte dort vorbei.
Es gibt dieses Feindbild des Silicon-Valley-Kapitalismus und dann kommen die Menschen schnell dazu zu sagen, dass jetzt die amerikanischen Internet-Milliardäre von außen kommen und unser Stadtbild verändern. Zu der vermeintlichen Verweigerung einer Baugenehmigung: Da ist ein Unternehmen, das ein wahrscheinlich denkmalgeschütztes Haus umbauen möchte. Das passiert immer in Abstimmung zwischen Bauherr und Bauämtern. Das Ungewöhnliche ist, dass solche Vorgänge öffentlich gemacht werden, dann in der Öffentlichkeit so dargestellt werden, als ob man dem Unternehmen Google einen herben Schlag versetzt hätte. Das scheint ja nicht die Faktenlage zu sein, und zeigt eher eine gewisse Motivation im Umgang mit der Digitalwirtschaft und vielleicht auch mit Wirtschaftsakteuren generell. Davon sollten wir Abstand nehmen, weil wir eigentlich an einen Tisch gehören, um dann darüber sprechen zu können.

Dann lassen Sie uns über den künftigen Zalando-Standort an der Schlesischen Straße sprechen.
Zalando plant seinen eigenen Campus am Ostbahnhof und will zusätzlich auf der Cuvry-Brache ein noch entstehendes Bürogebäude anmieten. Auf dieser Brache sollten schon einige Projekte entstehen in den letzten 20 Jahren. Vieles davon wurde verhindert, eben auch aufgrund von Protesten der Anwohner. Und möglicherweise ist das auch Teil einer gewissen Legendenbildung. Bei Zalando geht es immerhin um 34 000 Quadratmeter Fläche. Möglicherweise lagen da in den letzten 15 Jahren Vorschläge auf dem Tisch, die besser sind als ein reines Bürohaus. Berlin ist in einer unglaublich dynamischen Entwicklung. Das heißt, wir müssen nicht nur auf der einen Seite Wohnraum schaffen für 50 000 neue Berliner jedes Jahr, sondern wir müssen auch Arbeitsfläche schaffen. Deswegen müssen solche Diskussionen um solche freiliegenden Brachen dann auch irgendwann mal beendet werden. Es muss gebaut werden.

Die Bezirkspolitik wirbt für eine Dezentralisierung des Hypes, um Druck von der Innenstadt zu nehmen. Halten Sie solche Bestrebungen für realistisch?
Berlin ist seit vielen Jahren keine Stadt der Großindustrie mehr, sondern die Arbeitsplätze verteilen sich auf viele kleine und mittelgroße Arbeitgeber. Die prägen unser Stadtbild und auch das gesellschaftliche Zusammenleben. Ich würde die Bezirkspolitik gerne einladen, mit uns nach Kalifornien zu fliegen. Wir machen das einmal im Jahr. Dieses Silicon Valley ist der ursprünglich ausgelagerte Standort auf dem flachen Land gewesen. Und was ist der Trend in den letzten Jahren? Die Unternehmen ziehen gezielt zurück nach San Francisco, mitten rein in die Stadt, und haben sich bewusst zu dieser Strategie entschieden. Und deswegen halte ich es persönlich für nicht wünschenswert und auch für unrealistisch, alles dezentralisieren zu wollen. Der Standort Berlin ist auch deswegen so attraktiv für Startups, weil Menschen aus der ganzen Welt sich Berlin aktiv aussuchen, um hier zu leben. Deswegen lässt sich das auch nicht ohne weiteres trennen, dass man mitten in der Stadt lebt und arbeitet.

Führt der Protest dazu, dass Start-ups künftig Kreuzberg oder sogar Berlin meiden werden?
Nein. Also es kann sein, dass der eine oder andere Gründer, wenn er die Wahl hat, sich für Mitte statt Kreuzberg entscheiden wird. Solche individuellen Entscheidungen können natürlich beeinflusst werden, aber Berlin ist Anziehungspunkt und Gründungsstandort und das wird sich durch diese Diskussion auch nicht ändern.

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