Gutes Leben braucht freies Wasser

Alberto Acosta ruft zur Demokratisierung und Vergesellschaftung des kostbaren Nass auf

  • Alberto Acosta
  • Lesedauer: 5 Min.

Zu sagen, dass der Klimawandel immer häufigere und stärkere Überschwemmungen und Dürren verursacht ist eine dieser Halbwahrheiten, die vorherrschende Wirklichkeiten verschleiern. Dass es kein Wasser gibt, weil Dürre herrscht, oder es Überschwemmungen gibt wegen starkem Regen ist eine monumentale Vereinfachung, die eine tief liegende Situation von Missständen und Ungleichheiten versteckt. Verborgen bleibt dadurch ein Prozess vielfältiger Zweckbestimmungen, der an die Anforderungen der Kapitalakkumulation geknüpft ist, und der vor allem von der Vermarktlichung getrieben ist. Wasser, zum Geschäft geworden, stellt ein Objekt der Akkumulation, des Luxus und der Ausgrenzung dar. Hier findet sich der Grund, warum die Wasserqualität immer schlechter wird und die Wasserquellen zunehmend zerstört werden.

Wer wie ich die letzten Tage durch Chile fährt muss feststellen, dass hier, wie an kaum einem anderen Ort dieser Erde, die extraktivistischen Aktivitäten die Verfügbarkeit von Wasser beeinträchtigen. In diesem Land gibt es ein Modell der Verschwendung natürlicher Ressourcen von unbekanntem Ausmaß. Vom Norden nach Süden, auf einem über 5000 Kilometer langen Gebiet, das von der Anden-Cordillera gehalten wird um nicht in den Pazifik zu fallen, lassen sich fast an jeder Ecke die schwerwiegenden Auswirkungen dieser Naturausbeutung auf das vitale Nass und seine zunehmende Knappheit feststellen. Megabergbau, Lachszuchtanlagen oder Forstplantagen sind nur einige der wirtschaftlichen Aktivitäten, welche eine extrem zerstörerische Wirkung entfalten, und die Wasserverfügbarkeit für Mensch und Pflanzen beschädigen. Die Ausweitung dieses Modells hat bereits die großen Gletscher zwischen Chile und Argentinien im Visier. Auch im Nachbarland sorgt der »Bergbauhunger« für Druck auf die Grundwasservorkommen.

In Chile ist das ganze Thema mehr als kompliziert. Wie nirgends sonst besteht hier ein institutioneller Rahmen der das Wasser wie kaum irgendwo auf dem Planeten zur Ware macht. In der von Diktator Pinochet vererbten Verfassung wird die Privatisierung des Wassers rechtlich verankert und als Ware definiert, die ohne zeitliche Begrenzung als Konzession vergeben werden kann. Das Grundgesetz von 1981 hat die rechtliche Grundlage gelegt Wasser als ein Objekt zu definieren, dass dem Prinzip von Kaufen-und-Verkaufen unterworfen ist, um einem oligopolischen Markt zu dienen. Als Jahre später die brutale Militärdiktatur überwunden war haben die Regierungen der »Versöhnung« den Diktatur-Mechanismus des Ausverkaufs sogar noch weiter ausgebaut, statt ihn zu überwinden. Heute können sogar ausländische Rentenfonds ins Wassergeschäft einsteigen, etwa in Valparaíso das Abwasserunternehmen ESVAL, das Lehrern aus Kanada gehört. Der Staat muss auf der anderen Seite teure Investitionen in die Entsalzung von Meereswasser stecken, während die großen Bergbaukonzerne Kristallwasser aus den Andenabflüssen abzweigen, ohne etwas dafür zahlen zu müssen.

Auf dem südamerikanischen Kontinent gibt es weitere bedauernswerte Beispiele. Ecuador, wo es sehr hochwertiges Wasser gibt, ist eines davon. Das Land verfügt über eine viermal so große Wasseroberfläche pro Einwohner wie im globalen Durchschnitt. Der Niedergang der Wasserqualität geht jedoch mit dem Anstieg der Bevölkerung der letzten Jahrzehnte und immer mehr extraktivistischen Aktivitäten einher. In der Landwirtschaft wird das Wasser immer mehr in Monokulturen genutzt, die für den Export bestimmt sind, während die Lebensmittelproduktion für den heimischen Markt geschwächt wird. Die Konzentration der Wassernutzer ist hoch: Die bäuerliche, indigene und nicht-indigene Bevölkerung, die das Wasser oft über gemeinschaftliche Systeme nutzen, stellen 86 Prozent der Nutzer von Bewässerung für ihre Felder. Allerdings haben diese Gruppen nur zu 13 Prozent der Quellen und Flüssen Zugang. Während die großen Verbraucher, die nicht einmal ein Prozent der Landwirtschaftsbetriebe vertreten, 67 Prozent des Wassers für sich in Anspruch nehmen.

Im Unterschied zu Chile gibt es in Ecuador eine Verfassung, die das Wasser unter besonderen Schutz stellt. Das Werkzeug für eine Transformation in der Hand hat die Correa-Regierung (2007-2017) diesen Schritt nicht gemacht und die Ent-Merkantalisierung und Neuverteilung von Wasser (und Land) entgegen des Verfassungsauftrages fallen gelassen. Die Verfassung von 2008 hat das unveräußerliche Menschenrecht auf Wasser verankert. Wasser ist ein gesellschaftliches Gut und grundlegender Bestandteil der Natur, die in der Verfassung erstmalig auf der Welt eine Rechtssubjektivität gesichert bekommt und damit ein Anrecht auf Bewahrung ihrer lebensnotwendigen Kreisläufe erhält. Auch wurden die Nutzungsformen von Wasser priorisiert. Zuerst für den Menschen, dann für die Ernährung (Ernährungssicherheit), für die Bewahrung der Lebenskreisläufe des Wassers und erst am Ende für die Produktion. Die Verfassung von Montecristi sollte nicht nur die künftige Privatisierung des Wassers verhindern, sondern war explizit auch ein Auftrag zur »Entprivatisierung« und Neuverteilung des Wassers sowie Grund und Boden. Laut Verfassungsauftrag sollten diese Ziele durch die Gemeinschaften sowie den Staat umgesetzt werden.

Auch wenn Correa den Auftrag von Montecristi nicht erfüllt hat, in der Welt ist der Kampf ums Wasser als Menschenrecht voll im Gange. In Bolivien wurde nach Ecuador die Sonderstellung des Wassers in die Verfassung von 2009 geschrieben. Die Vereinten Nationen haben auf das Echo aus Ecuador und Bolivien gehört und am 28. Juli 2010 das »Recht auf einwandfreies und sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung als ein Menschenrecht« anerkannt, das »unverzichtbar für den vollen Genuss des Lebens und aller Menschenrechte ist«. Einen ähnlichen Kurs haben Mexiko 2012, Honduras 2013 und Frankreich 2016 eingeschlagen.

Zeitgleich zur rechtlichen Stärkung der Wassergrundrechte finden weltweit Prozesse der Rekommunalisierung der Wasserversorgung statt. Einer der bemerkenswertesten Fälle ist die Rekommunalisierung in Berlin 2013. In Kolumbien werden wir Zeugen von Aktionen zur Verteidigung des Wassers durch Volksbefragungen, mit denen Gemeinschaften sich mobilisieren, um das Wasser vor der Ausbeutung durch Erdölfirmen und Bergbaukonzerne zu verteidigen. Wenn wir verstehen, dass das Wasser Leben und kein Geschäft ist, dann ist der zu gehende Weg klar. Die Erklärung des Menschenrechts auf Wasser sollte unser Nachdenken und Handeln befruchten.

Programmtipp: Anlässlich des »Tag des Guten Lebens« (18. Juni 2017) finden in Köln auch Veranstaltungen zum Recht auf Wasser statt.

Übersetzung: Benjamin Beutler

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