»Drei Marathons sind doch nicht so schwer«

Ex-Radprofi Jens Voigt ist als Autor, Fernsehkommentator und Markenbotschafter noch immer viel beschäftigt. Vom Sport kann er aber nicht lassen

Das Trikot sitzt immer noch wie zu besten Zeiten. Wie viel trainieren Sie denn noch?
Wenig. Ich habe wenig Zeit. Ich laufe aber recht viel. Natürlich fahre ich noch hier und da Rad - auf solchen Events wie hier in Berlin oder manchmal auf dem Mountainbike im Wald, wo mich keine Ampeln stoppen.

Sie gewannen das Rennen hier mit großem Vorsprung vor teils 20 Jahre jüngerer Konkurrenz. Schmieden Sie nicht heimlich Comeback-Pläne?
Nein, sicher nicht. Ich werde 46. Da muss man realistisch sein. Ich käme mit den heutigen Profis nicht mehr mit. Außerdem würde meine Familie sagen: »Papa, du wolltest doch aufhören! Das geht gar nicht.« Außerdem hatte ich zu meinem Karriereende 2014 körperlich und geistig alles aus mir rausgequetscht. Jede Zelle meines Körpers schrie damals: »Aufhören, ich will nicht mehr.« Ich kenne viele, die zu früh aufgehört haben und sich nun fragen, was wäre wenn. Das frage ich mich nicht.

Jens Voigt

Der Mecklenburger Jens Voigt (45) lebt heute in Berlin, wenn er nicht gerade als Werbeikone durch die Welt jettet. Als Profi war er Stundenweltrekordler und gewann die Deutschlandtour sowie Etappen der Tour de France – beim Velothon am Samstag nun das Legendenrennen. Danach sprach er mit Oliver Kern übers Laufen, den Antidopingkampf und Nachwuchsprobleme.
 

Ihren Körper schonen Sie jetzt aber nicht gerade, Sie laufen Marathon.
Ich bin vor Kurzem meinen ersten gelaufen: fünf Uhr aufgestanden, Müsli und zwei Bananen gegessen, zwei Kaffee getrunken und los. 3:42 Stunden, dann bin in die Dusche und zur Arbeit. Da habe ich ein Rennen für NBC kommentiert. Die Tour de France werde ich auch drei Wochen lang begleiten. Da will ich jede Woche einen laufen. Drei Marathons sind doch nicht so schwer. Ich hab ja immer sechs Tage Zeit zur Erholung.

Sie sind bei den amerikanischen Radsportfans sehr beliebt, nicht erst als Co-Kommentator.
Das stimmt. NBC hatte mich noch in meinem letzten aktiven Jahr gefragt, ob ich bei ihnen kommentieren will. Das mache ich jetzt im dritten Jahr. Ich habe auch schon ein Buch geschrieben, das kam zuerst auf Englisch, auf den amerikanischen Markt, bevor es irgendwann ins Deutsche zurückübersetzt wurde. Ist schon eine komische Geschichte gewesen, aber sie ist wahr.

Daran hat sicher auch der Dopingschock in Deutschland vor gut zehn Jahren eine Mitschuld. Tony Martin sagte letztens, er sei froh, nicht zehn Jahre vorher Profi geworden zu sein. Sehen Sie auch eine Entwicklung zum Positiven?

Der Radsport hat große Fehler gemacht, wir haben das Problem vor 20 Jahren auch nicht als so ernst empfunden. Danach hat sich viel gebessert. Es gibt mehr und bessere Kontrollen heute. Der größte Unterschied ist aber die Einstellung der Fahrer. Die jungen Profis haben alle erlebt, dass selbst die größten Stars wie Lance Armstrong irgendwann erwischt und bestraft werden. Die allermeisten wissen: Doping ist ein No-Go.

Der Velothon ist fast das letzte Radrennen in Berlin. Die Friedensfahrt gibt es nicht mehr, die Tour de Berlin fiel 2017 auch aus. Stirbt der Radsport in Deutschland aus?
Der Nachwuchs leidet in allen Sportarten. Ein Sponsor investiert lieber eine Million Euro in der Bundesliga als 10 000 im Nachwuchs, weil er dort nie ins Fernsehen kommt. In Deutschland gibt es zudem viele Regularien für Radrennen. Da wird sogar die Anzahl der Dixie-Klos vorgeschrieben. Zudem muss ein Veranstalter jeden Polizisten an der Strecke bezahlen. Wenn 10 000 Krawall-Fußballfans kommen, zahlen die Steuerzahler die Polizisten. Warum ist das eigentlich so? Warum muss einem Verein wie Bayern München, der schon Hunderte Millionen im Jahr umsetzt, auch noch der Polizeischutz bezahlt werden?

Was machen Sie neben dem Job beim US-Fernsehen?
Ich bin Markenbotschafter für Fahrräder von Trek, für Fitnessuhren und Radrennen. Ich bin auch Buchautor. Was mir ans Herz gewachsen ist, ist die Tour de Cure in Australien. Das ist ein Charityrennen für krebskranke Menschen. Im ersten Jahr wohnte ich mit einem Mann auf dem Zimmer, der leider heute nicht mehr lebt. Als ich letztens wieder mitfuhr, stand seine Familie am Straßenrand mit einem Schild: »Daddy, wir vermissen Dich!« Da hätte ich fast geheult.

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