Entzug der G20-Akkreditierungen »langsam ein Krimi«

BKA erklärt Vorgehen gegen Journalisten: Erst »Staatsschutzerkenntnisse«, dann »zusätzliche sicherheitsrelevante« Infos - aber von wem?

  • Lesedauer: 5 Min.

Berlin. Der Entzug von Akkreditierungen für über 30 Journalisten beim G20-Gipfel »entwickelt sich langsam zum Krimi«. So jedenfalls formuliert es der frühere Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar. Grund: Der Verdacht, dass womöglich Informationen türkischer Sicherheitsbehörden Anlass für die Entscheidungen gegen die Medienvertreter gewesen sein könnten, ist weiterhin nicht vollständig ausgeräumt.

Hatte zunächst das Bundespresseamt in dem Fall erklärt, dass die bisher nicht näher bezeichneten »Sicherheitsbedenken« gegen die Journalisten »ausschließlich aus eigenen Erkenntnissen deutscher Behörden resultierten«, klingt eine Stellungnahme des Bundeskriminalamtes nun wieder etwas weniger deutlich.

Der ARD-Journalist Arnd Henze, der als einer der ersten über den Fall ausführlich berichtet hatte, twitterte am Mittwochmorgen, es gebe »deutliche Widersprüche« in der Chronologie von BKA und dem Bundespresseamt in den Erklärungen zum Entzug der Akkreditierungen: »Da ist noch viel aufzuklären!«

Laut der Behörde »lagen zum Zeitpunkt der Akkreditierung Staatsschutzerkenntnisse« für einige Journalisten »ausschließlich deutscher Sicherheitsbehörden vor«. Man habe sich dennoch entschieden, die Genehmigungen für die Berichterstattung zu erteilen - unter Abwägung »zwischen dem hohen Gut der Pressefreiheit und der zu gewährleistenden Sicherheit«. Dann habe es aber eine Neubewertung noch am Tag vor dem Gipfel und an dessen ersten Tag gegeben, weil nun »gewichtige zusätzliche sicherheitsrelevante Erkenntnisse« vorgelegen hätten. Woher diese neuen »Erkenntnisse« kamen und worin diese bestanden, lässt das Bundeskriminalamt in der Erklärung offen.

Das Bundespresseamt hatte erklärt, »diese Bedenken« hätten »demnach Einfluss auf die bereits erteilten Akkreditierungen« gehabt. Daraufhin wurde neun Medienvertretern die Akkreditierung entzogen. »Die übrigen 23 Medienvertreter sind im Weiteren nicht mehr am Medienzentrum erschienen.« Während der Gipfeltage hatten Polizisten am Ein- und Ausgang zum Pressezentrum die Journalisten kontrolliert. Sie verglichen dabei die Namen auf den speziellen G20-Ausweisen mit einer zweiseitigen Schwarzen Liste.

Der Verdacht, dass auch Informationen türkischer Sicherheitsbehörden Anlass für die Entscheidungen gegen die Medienvertreter gewesen sein könnten, ist damit nicht vollständig ausgeräumt. Zuerst hatte dies die ARD berichtet. Danach waren mindestens zwei Journalisten auf der Schwarzen Liste aufgetaucht, die im Oktober 2014 kurzzeitig in der Türkei festgenommen worden waren, als sie die Gefechte um die syrische Grenzstadt Kobane fotografiert hatten.

Beide Kollegen hatten danach zunächst nie ein Problem bei der Akkreditierung hierzulande. »Damit steht nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für Experten der Verdacht im Raum, dass die vermeintlich ‚neuen‘ Erkenntnisse gar nicht vom BKA, sondern vom türkischen Geheimdienst kamen«, so die ARD. Inzwischen ist von drei weitere Journalisten die Rede, denen die G20-Akkreditierung entzogen wurde und die »vorher Probleme mit türkischen Behörden« hatten, wie ein Kollege der »Tageszeitung« berichtet.

G20: Kritik an Übergriffen auf Journalisten
Pfefferspray-Attacken und Schlagstockeinsätze gegen Medienvertreter / Neun Presseakkreditierungen eingezogen, Dutzende Namen auf ominöser Liste

In der Politik werden nun die Rufe nach Aufklärung immer lauter. Grünen-Parteichef Cem Özdemir witterte einen »Skandal erster Güte« und erklärte: »Wenn sich bewahrheitet, dass mithilfe von Schwarzen Listen Journalisten während des G20-Gipfels die Akkreditierung entzogen wurde, wäre das ein unglaublicher Vorgang«.

Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sagte, »hier geht es um einen schwerwiegenden Eingriff in Pressefreiheit und Datenschutz der betroffenen Journalisten«, sagte von Notz am Dienstag der Nachrichtenagentur AFP. »Bei der nachträglichen Entziehung von Presseakkreditierungen handelt es sich um einen hochproblematischen Vorgang.« FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki drohte am Dienstag sogar mit einem Untersuchungsausschuss. »Der schlimme Verdacht, dass Interventionen des türkischen Geheimdienstes zum Entzug von Akkreditierungen beim G20-Gipfel geführt haben sollen, muss schnellstmöglich und umfänglich aufgeklärt werden«, forderte Kubicki.

Beim G20-Gipfel in Hamburg wurde nach Angaben der Bundesregierung neun Journalisten nachträglich die Akkreditierung entzogen. Als Grund nannte Regierungssprecher Steffen Seibert »Sicherheitsbedenken«. Bundespresseamt und Bundesinnenministerium müssten erklären, wie es zu »diesem seltsamen Sinneswandel gekommen ist«, erklärte Kubicki weiter. »Wir wollen in Bezug auf die Pressefreiheit definitiv keine türkischen Verhältnisse in Deutschland. Sollte sich der Verdacht nicht ausräumen lassen, behalten wir uns vor, dieses Thema nach der Bundestagswahl im Rahmen eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses aufzuklären«, erklärte Kubicki.

Seibert erklärte im Kurzbotschaftendienst Twitter: »Ich kümmere mich intensiv darum, dass alle Fragen zügig beantwortet werden.« Der Sprecher von Kanzlerin Angela Merkel fügte hinzu, die Pressefreiheit sei für ihn und sein Amt »ein hohes Gut«. Der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar kritisierte in der ARD den offenen Umgang mit diesen Listen: Er sprach von »Sperrlisten, die als Handzettel quasi offen einsehbar kursieren« und einen »diskriminierenden Charakter« hätten.

Hendrik Zörner vom Deutschen Journalisten-Verband spricht von einem »ungeheuren Verdacht«. Hat »der Pressefeind Erdogan indirekt darüber entschieden, welchen Journalisten die Akkreditierung entzogen wurde?«, heißt es in seinem Kommentar zu dem Vorgang. Das Bundeskriminalamt »muss wohl noch mehr Fragen beantworten«. Bereits am Tag zuvor hatte der Verband an die Spitze des Bundeskriminalamtes Fragen adressiert.

Auch DJV-Chef Frank Überall forderte eine schnell Aufklärung des Sachverhalts. Es werfe Fragen auf, wenn nicht einmal der Regierungssprecher genaue und umfassende Auskunft geben wolle, sagte der Überall der Zeitung »Ruhr Nachrichten« vom Mittwoch. Überall kritisierte zugleich, dass Listen mit sensiblen Daten der betroffenen Berichterstatter offen kursiert hätten. »Das ist problematisch und steht nicht im Einklang mit dem Datenschutz.« Agenturen/nd

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