Unruhen am Tempelberg

Mehrere Tote bei Protesten von Palästinensern / Drei Israelis werden Opfer eines Attentats

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Demonstrationen im Osten Jerusalem dauerten am Samstag bis in die späten Abendstunden an: Überall rund um die Altstadt, in den arabischen Stadtteilen und Dörfern unter israelischer Kontrolle lieferten sich überwiegend junge palästinensische Demonstranten Straßenschlachten mit der Polizei; Steine, Molotowcocktails wurden geworfen, Autoreifen verbrannt. Die israelischen Beamten setzten Tränengas, Gummigeschosse und Betäubungsgranaten ein, offiziell nicht tödliche Waffen. Dennoch starben bis zum Abend mindestens sechs Palästinenser; Dutzende darunter auch mehrere Polizisten, wurden verletzt.

Am Freitagabend hatte ein junger Palästinenser den Sicherheitszaun der Siedlung Chalamisch nördlich von Ramallah überwunden und in einem Wohnhaus drei Mitglieder einer Familie erstochen, die gerade das traditionelle Schabbat-Mahl einnahm. Die Tat hat in Israel für große Wut gesorgt: Verteidigungsminister Avigdor Lieberman forderte die Todesstrafe, und die Polizeiführung beorderte direkt nach Bekanntwerden der Tat auf Geheiß von Regierungschef Benjamin Netanjahu mehrere Hundert Polizisten in die arabischen Stadtteile Jerusalems - ein Schritt, der bei der Opposition für heftige Kritik sorgte: Die Regierung habe damit die Ausschreitungen nur weiter angefacht, kritisiert Avi Gabbay, der erst seit wenigen Tagen Vorsitzender der sozialdemokratischen Arbeitspartei ist. Denn in vielen Teilen Ost-Jerusalems, wozu nach israelischer Lesart auch eine große Zahl von eingemeindeten arabischen Dörfern zählt, gibt es normalerweise, wenn überhaupt, nur eine minimale Polizeipräsenz. Seit Jahren beschweren sich die Einwohner dort über hohe Kriminalitätsraten. Dass sich die Polizei ausgerechnet jetzt dort sehen lässt, hat die Wut nur weiter angefacht.

Kritik gibt es auch aus Netanjahus Partei, dem konservativen Likud: »Der Umgang mit der Krise ist furchtbar«, sagt Avi Dichter, Likud-Abgeordneter und ehemaliger Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Beth: »Anstatt Angriffsflächen zu schaffen, nur um zu zeigen, wer der Herr im Hause ist, muss man Sicherheitsprobleme mit Besonnenheit angehen.«

Genau das passiere aber nicht: Nachdem am Freitag der vorvergangenen Woche an einem Eingang zur Jerusalemer Altstadt drei Palästinenser das Feuer auf Polizisten eröffnet, zwei von ihnen getötet hatten, schloss Israels Regierung zunächst den Tempelberg, arabisch: Haram al Scharif, und ließ dort Metalldetektoren installieren, obwohl Israels Sicherheitsbehörden gewarnt hatten, dies werde eine Eskalation zur Folge haben; es gebe ausreichend gute Alternativen. Israels Minister für öffentliche Sicherheit, Gilad Erdan, gibt indes den Sicherheitsdiensten die Schuld: Sie hätten der Entscheidung für die Detektoren »nicht widersprochen«.

Die palästinensische Regierung gab nun bekannt, dass es bis auf Weiteres keine Kontakte mehr mit israelischen Behörden geben werde. Die Auswirkungen waren bereits am Sonntag spürbar. So gaben die palästinensischen Sicherheitsdienste keine Informationen mehr an Israels Polizei und Militär weiter; der Datenbankzugang sei gekappt worden, beschwerte sich die israelische Polizei.

Dass Palästinas Präsident Mahmud Abbas nun erstmals seit vielen Jahren diesen Schritt geht, hat vor allem mit den Erwartungen der Öffentlichkeit zu tun: Für Palästinenser ist der Tempelberg ein nationales, für Muslime ist er ein religiöses Symbol; im Schatten der Krise ist der sonst chronisch unbeliebte Abbas plötzlich in den Augen der palästinensischen, der muslimischen Öffentlichkeit zum Verteidiger der Al Aksa-Moschee aufgestiegen.

Erstmals seit Jahren folgen ihm die Massen aufs Wort, während sich die Arabische Liga, die Regierungen der Region, zum ersten Mal seit langer Zeit wieder mit der Palästinenser-Frage befasst In den vergangenen beiden Jahren hatte Abbas immer wieder geklagt, die arabische Welt seit mehr daran interessiert, Beziehungen zu Israel aufzubauen, als sich für einen palästinensischen Staat einzusetzen.

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