Quereinstieg ins Klassenzimmer

Im neuen Schuljahr hat mehr als jeder zweite neue Grundschullehrer kein entsprechendes Studium vorzuweisen

  • Ellen Wesemüller
  • Lesedauer: 3 Min.

Die 16-seitige Pressemitteilung war nur ein Zeichen, dass es Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) am Donnerstag darum ging, ihre Einstellungspolitik zu Schuljahresbeginn genau darzulegen - und zu rechtfertigen. Am Montag hatte der »Tagesspiegel« gemeldet, dass die Hauptstadt mehr denn je Quereinsteiger eingestellt hatte. Scheeres bestätigte die Zahlen. So waren von den 2000 Neueinstellungen 41 Prozent Quereinsteiger, an Grundschulen sogar 53 Prozent. Insgesamt unterrichten damit sechs Prozent Quereinsteiger an Grundschulen.

Scheeres argumentierte, dass diese Lehrer beruflich ebenso qualifiziert seien: »Quereinsteiger haben ein abgeschlossenes Studium und befinden sich in einer berufsbegleitenden Ausbildung. Sie legen eine Staatsprüfung ab und sind dann vollqualifizierte Lehrkräfte.« Viele hätten bereits ein anderes Hochschulstudium absolviert und seien als Vertretungslehrer angestellt gewesen. Auch in Zukunft werde sie »weiterhin mit Quereinsteigern arbeiten«.

Zudem verwies sie auf den Lehrermangel in allen Bundesländern. »Die Konkurrenz zu anderen Ländern ist sehr hoch. Fast alle stellen mehr Lehrer ein, einige sogar mehrere Tausend. Nicht allen gelingt das: Einige haben über 2000 offene Stellen.« Damit bezog sie sich auf Zahlen des Bildungsministeriums Nordrhein-Westfalens. Dessen Sprecher Daniel Kölle bestätigte dem »nd«, dass das Land 2139 Stellen nicht besetzen konnte.

Quereinsteiger werden nicht zuletzt deshalb gebraucht, weil mehr Schüler kommen: Im neuen Schuljahr lernen in Berlin 441 330 Schüler, das sind 6700 mehr als zuletzt. Die Zahl der Grundschüler ging hingegen um 46 auf 31 880 Schüler zurück. Abziehen muss man zudem noch die Erstklässler, die zurückgestellt werden - also trotz Schulpflicht in der Kita bleiben. Ihre Zahl wird erst Ende September bekannt gegeben.

Die Zahl der Lehrer ist - abzüglich der Abgänge - um 538 gestiegen auf 33 383. Der Personalschlüssel von 13,2 Schülern auf einen Lehrer konnte damit erhalten werden.

Zudem gibt es immer noch 1051 Willkommensklassen mit insgesamt 17 426 Schülern. 141 Willkommensklassen werden zum neuen Schuljahr aufgelöst. Allein 1200 Lehrer seien für diesen Bereich eingestellt worden. »Das haben wir sehr gut gestemmt«, so Scheeres. Auch diese Lehrer, die bisher kein Referendariat machen mussten, sollen ins Schulsystem übernommen werden. Bei 250 Lehrern ist das schon geschehen. »Die müssen dann natürlich in die berufliche Qualifikation gehen«, so Scheeres.

Kritik kam von der Opposition. Paul Fresdorf, bildungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, sagte, bei den Quereinsteigern »sollte eine längere Qualifizierungsphase vor dem ersten Unterricht liegen«. Zudem sei »die fehlerfreie Beherrschung der deutschen Sprache« ein Mindeststandard.

Am Rande lieferten sich die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Bildungsverwaltung über öffentliche E-Mail-Verteiler Gefechte. Bereits zum zweiten Mal wird ein Konflikt so ausgetragen, im Juni ging es dabei um die Neuberechnung von Lehrerstunden pro Schüleranzahl statt wie bisher pro Klasseneinheit, was laut GEW die kleineren Klassen benachteiligt.

Dieses Mal kritisierte die GEW, dass Scheeres die Quereinsteiger nicht erwähne - die Verwaltung konterte mit einer »Richtigstellung«, Scheeres habe dies ausführlich mündlich getan. Die GEW konnte das nicht wissen - in der Pressemitteilung kommen die »Quereinsteiger« nicht vor. Tom Erdmann, Vorsitzender der GEW Berlin, war nicht zur Pressekonferenz geladen, in den Jahren zuvor sei dies der Fall gewesen. Er sagte: »Das ist eine weitere Stufe, wie man die Eiszeit vertieft.« Die Gewerkschaft wirft der Bildungssenatorin zudem vor, die bessere Bezahlung der alt eingesessenen Grundschullehrkräfte zu »verschleppen«.

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