Löw hat schon auch ein Manko

Nach den Nazigesängen der DFB-Fans lobt Christoph Ruf den DFB und ärgert sich, dass der Bundestrainer hinterherhinkt

Es muss nicht jedem gefallen, dass Fans beim Länderspiel in Prag den Spieler Timo Werner beleidigt haben – doch das ist durch das Recht auf freie Meinungsäußerung ebenso gedeckt wie die Anti-DFB-Gesänge. Wirklich schlimm war hingegen, dass ein paar deutsche Fans die Gedenkminute für zwei verstorbene tschechische Funktionäre mit ihrem Gebrüll störten – auch wenn das nach Augenzeugenberichten nur sehr wenige Rufer waren, die in einem stillen Stadion eben dennoch gut zu hören waren. Noch viel schlimmer war, dass nach den »Sieg«-Rufen vereinzelt »Heil« zu hören war.

In der ganzen Aufregung – bei der zwischen NS-Rufen und Werner-Schmähungen oft nicht groß unterschieden wurde – ist etwas Bedeutsames untergegangen. Während es in den vergangenen Jahrzehnten meist so war, dass Fans und Journalisten dem DFB weit voraus waren, wenn es um politisches Problembewusstsein ging, waren es die Nationalspieler Mats Hummels und Julian Brandt, die die »Heil«-Rufe offen ansprachen. Viele im Stadion hatten sie nicht einmal wahrgenommen.

Auch die Reaktion – man ging nach Abpfiff nicht in die Kurve, um den Fans zu danken – war völlig richtig. Wie übrigens auch zwei Wochen zuvor der Verband gut reagiert hatte, als er ein unsägliches Protestplakat in Aue, das die DFB-Strafmaßnahmen mit dem Wort »Vereinsholocaust« bezeichnete, als Verharmlosung der Shoah kritisierte. Der Verband, dessen Präsidenten Hermann Neuberger und Gerhard Mayer-Vorfelder einst Unsägliches verbreiteten, hat sich gemausert.

So wie Berti Vogts oder Franz Beckenbauer einst in Argentinien keine politischen Gefangenen oder in Katar keine »Arbeitssklaven« gesehen haben wollen, würde sich heute wohl kein Nationalspieler mehr äußern. Und daran ändert auch die Tatsache nichts, dass auch im derzeitigen Kader ein paar Spieler nach solchen Vorfällen wohl nur vor sich hin gefloskelt hätten. Die Brandts und Hummels sind in der Nationalmannschaft natürlich ebenso unterrepräsentiert wie sie es im Rest der Gesellschaft sind.

Umso ärgerlicher war es daher, dass der oft als Modernisierer gefeierte Bundestrainer in Prag anfangs wie ein Funktionär alter Schule agierte. Nach dem Spiel tat er so, als habe er nichts bemerkt.
Typisch für Joachim Löw: Sich spontan mit inhaltlicher Tiefe äußern, das liegt ihm nicht. Im Fußballkontext verbirgt er das hinter häufigem »schon auch« oder »mal sagen« , was nicht weiter schlimm ist. In gesellschaftspolitischen Angelegenheiten ist seine Rhetorik ein Manko. Erst mit Verspätung bezog Löw dann doch noch klar Stellung: Am Sonntag sagte er, er sei »voller Wut«: Die »sogenannten Fans« würden »viel Schande über unser Land« bringen: »Unterste Schublade und zutiefst verachtenswert!«

Es hatte sich abgezeichnet, was in Prag passieren würde. Schon am Freitag waren mehrere Pulks kräftigerer deutscher Fußballfans durch die Altstadtgassen gezogen. Wie so oft in der Vergangenheit hatte ein in Osteuropa stattfindendes Länderspiel der deutschen Auswahl also mehrere hundert Menschen angezogen, die sich Deutschland-Norwegen am Montag in Stuttgart eher verkneifen dürften.

Im Osten Europas trifft man eben manchmal auf gewaltbereite »Gegner«, das Bier ist billiger.
Und da einige deutsche Städte mit gewaltfreudigem Fanpotenzial recht nah an Prag liegen, trifft man immer ein paar Gleichgesinnte, die wie man selbst der Meinung sind, dass Fußball mehr Spaß macht, wenn man nationalistischen Müll absondert, das Gastgeberland beleidigt und sich überhaupt an einem Wochenende mal so richtig daneben benimmt.

Es gibt in den deutschen Stadien in West und Ost noch Tausende dieser Menschen, wie es Hunderttausende in der ganzen Gesellschaft gibt, die sich bei Junggesellenabschieden und Mallorca-Urlauben ganz genau so verachtenswert verhalten. Der Fußball ist also genauso fragmentiert wie der Rest des Lebens. Wo die einen Fans jede noch so filigrane (und oft schlicht lächerliche) Verästelung der Gendertheorie in die Fankurve integrieren wollen, wird anderswo herumgebrüllt wie weiland in der Höhle zu Neandertal – ein Klima, das den Braunen prima zupass kommt.

Bei all dem Lob für den DFB darf man im Übrigen getrost darauf wetten, dass der Verband mit sich selbst milder verfährt als er es mit den Vereinen tut. Denn sonst müsste der DFB-Kontrollausschuss schon bald ein Ermittlungsverfahren gegen sich selbst anstrengen. Wegen des Fehlverhaltens seiner eigenen Anhänger.

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