»Abwehrnationalismus« statt Einwanderung

Forscher kritisieren Streben nach Abschottung / Türkische Gemeinde: Parteien haben Nachholbedarf

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Die politische Debatte um Zuwanderung wird Experten zufolge immer stärker von irrationalen Ängsten und dem Streben nach Abschottung beherrscht. In Deutschland und Europa sei der »wachsende Einfluss eines Abwehrnationalismus zu beobachten, der weitere Einwanderung verhindern und eine kulturell homogene Nationalgesellschaft herstellen will«, heißt es in einem Papier des Rates für Migration. Es wurde am Freitag in Berlin vorstellt. Der Rat für Migration ist ein Zusammenschluss von rund 150 Wissenschaftlern, die zu den Themen Migration und Integration forschen und die Politik in diesen Feldern kritisch begleiten.

Der Rat sieht eine »in weiten Teilen irrationale« Gefährdungsdebatte. Und die bestimme nicht nur die Rhetorik extrem rechter Strömungen und rechtspopulistischer Parteien. Auch in den Parteien der politischen Mitte seien entsprechende Äußerungen zu beobachten. Migration etwa werde dann als Bedrohung für die innere Sicherheit und für die kulturelle Identität dargestellt.

Der Fokus sei weggerückt vom Verständnis von Flüchtlingen als hilfsbedürftige Menschen, die auf der Flucht litten, sagte Soziologe und Ratsmitglied Albert Scheer. Stattdessen würden Flüchtlinge zunehmend als Bedrohung betrachtet. Er sieht darin einen Versuch, Rechtspopulismus zu bekämpfen, indem man sich deren Rhetorik und Forderungen zu Eigen macht. »Ob das aufgeht, wird sich zeigen.« Er hält es für unwahrscheinlich. Eher ziehe die AfD daraus Nutzen.

Deutschland sei ein Einwanderungsland, hält der Rat für Migration fest. Aus volkswirtschaftlicher Sicht sei das Land auf Einwanderer angewiesen. Das sollte in der Debatte aber nicht zusammen mit Fragen von Flüchtlingsschutz und Asyl behandelt werden. Legale Einwanderungswege nach Europa sollten jenseits von Flüchtlingsschutz und Asyl geschaffen werden, heißt es in dem neunseitigen »Manifest für eine zukunftsfähige Migrations-, Flüchtlings- und Integrationspolitik«.

In deutlichen Worten kritisierte Sabine Hess, Grenzforscherin und Mitglied des Rats, die gegenwärtige europäische Migrationspolitik. Diese setze auf Abschottung als alleinige Strategie der Steuerung und sei zu »einer Politik des Sterbenlassens« zurückgekehrt.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) sieht derweil bei den politischen Parteien und ihren Programmen Defizite, wenn es um die Integration von Migranten geht. Alle Parteien hätten »großen Nachholbedarf«, Migration als Chance zu begreifen, sagte der TGD-Bundesvorsitzende Gökay Sofuoglu am Freitag in Berlin bei der Vorstellung eines Positionspapiers zur Bundestagswahl.

Zur Verbesserung der gesellschaftlichen Teilhabe fordert die TGD unter anderem die Einführung des kommunalen Wahlrechts für nicht aus der EU stammende Migranten und das Zulassen der Mehrstaatlichkeit. Zudem spricht sich der Dachverband für eine Migrantenquote bei den Kandidatenlisten in allen Parteien sowie für leitende Positionen im Öffentlichen Dienst aus. Agenturen/nd

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