Jacke drüber!

Die Wut aus dem Ungefähren: Was Angela Merkel im Osten derzeit entgegenschlägt - Notizen aus Torgau

  • Johannes Simon und Paul Simon, Torgau
  • Lesedauer: 6 Min.

Torgau, Anfang September: In einer Gaststätte namens »Mohrrübe« treffen sich Leute, die noch nicht wissen, dass sie wenige Tage später tatsächlich bundesweit in die Medien gelangen werden. Auch wenn sie dies durchaus beabsichtigen. Ein lokaler Verein namens »Spektrum aufrechter Demokraten« hatte eingeladen, gekommen sind aber auch andere Interessierte, auch solche von der AfD. Es geht um den anstehenden Auftritt von Angela Merkel - und wie man dagegen protestieren wolle.

Es lohnt sich, die Gemengelage aus Meinungen, die sich in Torgau zusammenbraute, genauer anzusehen. Sie ist typisch für jene Wut, die der Kanzlerin besonders im Osten zuletzt entgegenschlug. Was trieb die in dem Lokal Versammelten um?

Rechts oder rassistisch, ließ man den Reporter wissen, sei hier niemand. Mit Vietnamesen und Chinesen habe man kein Problem. Man wisse ja, auf welcher Grundlage die hier seien. Bei »Merkels Flüchtlingen« sei das anders. Die »aufrechten Demokraten« wollen streng kontrollieren, wer im Lande ist. »Alle Migranten«, so ihr Programm, »müssen unsere Sprache lernen, für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen können, und dürfen nicht straffällig werden, um unbegrenztes Aufenthaltsrecht zu erhalten.« Eine Einbürgerung soll möglich sein, nach acht Jahren »makelloser Bewährungszeit«. Das ist tatsächlich nicht rassistischer als das geltende Ausländerrecht, das diese Forderungen fast Punkt für Punkt enthält. Woher rührt dann diese latente Wut?

Flüchtlinge, so heißt es weiter, seien für die Mächtigen billige Arbeitskräfte. Wie auch die Osteuropäer, die in Geflügelbetrieben in der Gegend für geringe Löhne schuften. Überhaupt ist viel von Sozialem die Rede. Von einer »wahrhaftigen, sozialen Marktwirtschaft« ohne Leiharbeit und Minijobs. Man ist gegen »wild spekulierende Banken«, »Großkonzerne« und »superreiche Karrieristen«, die an der Macht seien. Dieses Wissen stammt aus Medien wie dem Heft »Compact« von Jürgen Elsässer oder aus der »Jungen Freiheit«. Beliebt sind auch Autoren wie Thilo Sarrazin und Udo Ulfkotte sowie der Polizeigewerkschafter Rainer Wendt.

Gründer des Vereins ist Sandro Oschkinat. Der Mittdreißiger ist selbstständiger Gastronom. Hin und wieder ist er bei Pegida aufgetreten, 2016 gründete er die »aufrechten Demokraten«. Der Verein ist ein Faktor in der Stadt, die zu DDR-Zeiten ein großer Militärstützpunkt war und heute strukturschwach ist. Rund 70 Mitglieder hat er und ein Büro in der Stadt. »Merkel Muss weg« steht an der Tür. »Ausbeutung, NATO-Kriege, Asylchaos, Bankenrettung, Volksbetrug und soziale Ungerechtigkeit stoppen« will man laut der professionell wirkenden Internetseite.

Weder rechts noch links sei das, sagt Oschkinat. In den 1990er Jahren habe er gegen die NPD demonstriert, noch 2013 die Linkspartei gewählt. Heute hoffe er auf den »sozialen Flügel« der AfD - auf Leute wie Björn Höcke, Alexander Gauland und André Poggenburg. Man müsse sich gegen die Bevormundung durch die USA zur Wehr setzen. »Das heutige politische System in Deutschland ist unsozial, volksfeindlich und in keiner Weise souverän«, heißt es im Vereinsmanifest: »Deshalb muss es gewaltfrei, aber leidenschaftlich-aktiv von allen aufrichtigen Demokraten abgelehnt werden.« Hätten sich doch Politik, Medien, die Bertelsmann Stiftung und die Hochfinanz gegen das Volk verschworen. Auch die Spaltung in rechts und links werde betrieben, um die Leute besser beherrschen zu können. Die Kanzlerin, so klingt an, spiele als Marionette mit.

In diesem Sinn hatte Oschkinats Verein dazu aufgerufen, Merkel zu »begrüßen« an diesem für Torgau vielleicht denkwürdigen Tag. »Wir sind keine Wutbürger, keine Idioten, wir sind Arbeiter und deutsche Bürger, die merken, dass was schief läuft.« So hatte Oschkinat, der die Kundgebung angemeldet hatte, seine 50 Mitstreiter begrüßt. Die waren dann geschlossen mit Schildern der AfD und der Zeitschrift »Compact« auf den Marktplatz getreten: »Wir sind das Volk!« Man wollte laut sein, Merkel aber reden lassen, um einen guten Eindruck zu machen.

Doch hatten auch NPD und »Thügida« mobilisiert, »Identitäre« verteilten Zettel. Als Merkel dann kam, entfaltete sich ein ungeheurer Krach. Buhrufe, Sprechchöre, Pfeifen und Vuvuzelas waren lauter als die Tonanlage. Eine halbe Stunde redete Merkel: Steuersenkungen, Sicherheit, islamistischer Terror. Doch ihre Stimme ging unter: »Abtreten! Volksverräter! Merkel muss weg! Haut ab! Lügenpack! Entsorgen!«

Es waren auch neutrale Schaulustige auf dem Platz, selbst eine syrische Familie war gekommen. Doch um sie herum herrschte Aggressivität - teils auch von Merkel-Unterstützern. Ein älterer Herr etwa wunderte sich, »dass man die überhaupt lärmen lässt. Einfach in einen Lastwagen packen und ab.« Immer meckerten alle, »aber sie macht es doch gut. Dass sie das geschafft hat, und auch noch als eine aus der DDR!«

Adrette junge Leute vom CDU-Parteinachwuchs, viele aus den Großstädten Sachsens angereist, wollten die Kanzlerin mit Schildern abschirmen. »Demokratie heißt auch einmal zuhören«, stand darauf - doch stachelte ihre Gegenwart die Menge noch weiter auf. »Ich hab das ja alles miterlebt. Wie die DDR zerfiel. Und ich sag euch: Heute sind die Leute noch wütender«, sagt ein älterer Herr mit Schnauzbart. Die Junge-Union-Leute mussten sich von ihm in etwa das anhören, was CDU-Anhänger früher gern linken Studierenden entgegenschleuderten: »Habt ihr schon was geleistet? Studenten? Ich hab schon gearbeitet, da habt ihr noch in die Windeln geschissen«, erregt sich der Schnauzbart weiter: »Ich kann dir sagen, was ICH arbeite. Frührentner. Mit 575 Euro im Monat!«

Neu und recht auffallend war indes, wie sexualisiert sich der Zorn auf dem Platz artikulierte: »Woher will so ein junger Kerl eine Meinung haben? Wenn deine Freundin vom ersten Schwarzen gefickt wird, dann hast du eine Meinung«, pöbelte jener Schnauzbartträger. Ein anderer Mann mit Bundeswehrhose brüllte: »Wart ihr schon in Leipzig, Ficki-Ficki mit euren Kanackenfreunden?« Demonstrativ fotografierte der Mann die Merkelbeschützer - und auch der nd-Reporter wurde aus der Nähe abgelichtet: »Wir sehen uns!«

Mit solchen Leuten will Sandro Oschkinat eigentlich nichts zu tun haben. Wer pöbeln wolle, hatte er seine Anhänger eigens eingeschworen, der solle das woanders machen, nicht in ihrem Block. Überhaupt meint Oschkinat, der Verein müsse sich vor Irren hüten, zum Beispiel vor sogenannten Reichsbürgern oder vor Leuten, deren bevorzugtes Stammtischthema die berühmt-berüchtigte »Bilderbergerverschwörung« sei. Und vor Neonazis, wenn sie erkennbar sind. »Jacke drüber!«, rief einer der Demoordner einem Jungen zu, der ein T-Shirt der Naziband »Landser« trug. Freilich hatte dieser Ordner selbst ein einschlägiges Leibchen an - mit dem Logo der 1998 aufgelösten rechten Band »Legion Ost«.

Am folgenden Tag zeigt sich Sandro Oschkinat zufrieden - trotz der negativen Schlagzeilen. Auch er und seine Mitstreiter hätten Angela Merkels Rede gestört, doch die CDU habe schließlich angefangen: Mit ihrer »lauten Partyband« und den jungen CDU-Mitgliedern hätten sie den Gegenprotest »genauso gestört«. Deshalb könne er »moralisch vertreten«, was sich auf Torgaus Marktplatz abgespielt hatte.

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