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Anbahnung einer Balz

Die FDP plustert sich vor Sondierungen auf, bei den Grünen herrscht noch Erleichterung über ihr Ergebnis

  • Florian Haenes und Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 5 Min.

Angela Merkels Blick auf die streitenden Spitzenkandidaten Christian Lindner und Katrin Göring-Eckardt in der ARD-Runde nach der Bundestagswahl am Sonntagabend sprach Bände. Beide hatten sich in einen Wortwechsel über das Pariser Klimaschutzabkommen verhakt, und Merkel studierte den Auftritt interessiert bis distanziert. Der Auftritt mag ihr wie ein Vorgeschmack auf künftige Zusammentreffen mit den beiden erschienen sein.

Die nächsten Wochen dürften der bisherigen und wohl nächsten Bundeskanzlerin noch heftige Unbill bereiten. Sondierungs- oder womöglich Koalitionsgespräche mit der FDP und den Grünen dürften ein hartes Stück Arbeit werden. Merkel selbst kann längst nicht mehr ohne Weiteres auf ihre bisherige Rolle als Moderatorin bauen, nachdem ihr auch CSU-Chef Horst Seehofer am Tag nach der Wahl quasi erneut die Freundschaft gekündigt hat.

Auf der ersten Landesgruppensitzung der CSU an diesem Dienstag in Berlin wolle er die Abgeordneten über eine Fortsetzung der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU abstimmen lassen, meldete die dpa am Montag. In einem Vorstandsbeschluss legte sich das Führungspersonal allerdings rasch auf eine gemeinsame Fraktion mit der CDU fest.

Nach dem Absturz der CSU in Bayern sieht Seehofer das Heil seiner Partei in einem bedingungslosen Rechtsruck. Eine Vier-Fraktionen-Koalition aber wäre noch ungleich schwerer auf eine Linie zu bringen als die Jamaika-Koalition unter alten Voraussetzungen. Denn sehr verschieden sind die Ambitionen der Beteiligten bereits jetzt. Und sie alle sind sich der Risiken bewusst, die in einer Verwässerung ihrer im Wahlkampf verkündeten Prioritäten bestünden.

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Alle außer der CDU. Dort herrscht die von Merkel bevorzugte Kontinuität von Maß und Mitte. Am Montag wurde bekannt, dass Fraktionschef Volker Kauder die Geschicke der Union auch in den nächsten vier Jahren zu lenken gedenkt. Die CDU toleriert gleichzeitig seit Jahren die erklärte Entfremdung, die Seehofer vorantreibt.

In den ersten Reaktionen am Montag waren dennoch vor allem Mäßigungsaufrufe hörbar. »Ich bin mir sicher, wir brauchen keinen Ruck nach rechts«, sagte die Vizevorsitzende Julia Klöckner, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, vor einer Sitzung des CDU-Präsidiums in Berlin. »Wir müssen die Themen ansprechen, die die Bürger bewegen in der Mitte der Gesellschaft - nichts tabuisieren, nichts schlechtreden, aber vor allen Dingen die AfD auch stellen.« Die Berliner CDU-Landeschefin Monika Grütters lehnte ebenfalls eine stärkere konservative Ausrichtung der Union ab. »Wir haben drei Landtagswahlen verloren wegen des Ausholens nach rechts - 2016 in Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt«, sagte Grütters im RBB-Inforadio. »Und wir haben jetzt vier Wahlen in Folge gewonnen - im Saarland, in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und beim Bund - als wir die stabile Mittelpolitik von Angela Merkel verteidigt haben. Ich glaube also, es wird auch bei den Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene jetzt um Maß und Mitte gehen«, erklärte die Kulturstaatsministerin im Kanzleramt.

Horst Seehofer reagiert auf den Absturz seiner Partei hingegen wie gewohnt mit der Ankündigung eines harten Kurses. Er muss um die absolute Mehrheit seiner Partei bei der Landtagswahl in Bayern fürchten und kündigte an: »Wir werden bestehen auf den Dingen, die wir der Bevölkerung versprochen haben in unserem Bayernplan.« Dazu gehöre auch eine Obergrenze für Flüchtlinge. »Für uns geht’s vor allem um einen klaren Kurs Mitte-Rechts für die Zukunft.«

Für einen solchen Kurs will sich auch die FDP einsetzen. In der Bundespressekonferenz erklärte der Parteichef und zukünftige Fraktionsvorsitzende Christian Linder den Bruch mit dem »sozialdemokratischen Generalkonsens«, der zwischen CDU, SPD und Grünen herrsche, zur Bedingung für den Eintritt in eine Koalition. »Wir sind die seriöse, staatstragende Alternative«, verkündete Lindner. Es kostete den Parteichef auf Nachfrage sichtlich Überwindung, Gemeinsamkeiten mit den Grünen zu benennen. Bürgerrechte, Reform des Bildungsföderalismus und Glasfaserausbau, presste er als Konsensthemen heraus. Bei Sondierungsgesprächen wird Parteivize Wolfgang Kubicki wohl die Brücken zu den Grünen bauen müssen. Es komme darauf an, die Schmerzgrenzen seiner Koalitionspartner zu beachten, sagte der Jamaika-erfahrene Liberale aus Schleswig-Holstein. Es müssten zudem gemeinsame Projekte gefunden werden. Doch bislang, betonte Kubicki, fehlt auf Bundesebene eine vertrauenvolle Arbeitsebene.

Vertrauen aufzubauen wird nicht leicht. Teile der Grünen sehen mit Unbehagen auf die drohenden Ankündigungen der CSU und überhaupt auf die FDP. Nachdem die Ökopartei sich in langen Jahren bis hin zur Bereitschaft umorientiert hat, eine Koalition mit der Union für eine normale Regierungsoption zu halten, muss sie sich nun noch an die Wirtschaftsliberalen der FDP gewöhnen. Doch mit dem Einzug der AfD in den Bundestag wird das moralische Argument verfügbar, die Unregierbarkeit der Republik nur auf diesem Wege verhindern zu können. Praktisch allerdings stehen einige Schwierigkeiten ins Haus.

Vertreter des linken Parteiflügels werden in den kommenden Wochen versuchen, Sondierungsgespräche in ihre Richtung zu lenken. Sven Giegold, Sprecher im Europaparlament, erinnerte an den im Mai beschlossenen Zehn-Punkte-Plan einer Grünen Regierung, der weit über Klimaschutz hinausgehe. Auch die Spitzenkandidaten der Partei räumten am Montag ein, dass der Partei in den Sondierungen ein schweres Stück Arbeit bevorstehe.

In der Grünenspitze herrscht nach der Bundestagswahl, die besser ausging, als die Umfragen vorausgesagt hatten, aber nicht wesentlich besser als die letzte von 2013, zurückhaltende Selbstsicherheit. Das Ergebnis 2013 war von den jetzigen Protagonisten als herbe Niederlage bewertet worden, die damaligen Spitzenkandidaten wurden heftig kritisiert und in die zweite Reihe abgeschoben. Diesmal ist die Lage anders. Obwohl das Ergebnis ähnlich ist, verschafft die Aussicht auf Regierungsbeteiligung den Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir so viel Selbstvertrauen, dass sie Fragen nach personellen Konsequenzen von oben herab zurückweisen, wie sich am Montag vor der Bundespressekonferenz zeigte. Auch Fragen nach der Teilnahme von Jürgen Trittin, einer der führenden Köpfe der Parteilinken und der bei der letzten Wahl für die Niederlage verantwortlich gesprochenen Prominenten, bereiteten den Spitzenkandidaten offenkundiges Unbehagen und wurden nicht beantwortet. Über die Aufnahme von Sondierungsgesprächen soll ein kleiner Parteitag, der so genannte Länderrat, am Samstag entscheiden. Das letzte Wort über die Annahme eines Koalitionsvertrages wird bei den Grünen in einem Mitgliederentscheid die Basis haben.

Dem Vernehmen nach interessieren sich die Grünen für die Ressorts Umwelt, Justiz, Entwicklungszusammenarbeit und Landwirtschaft, die FDP für ein um Digitalisierung erweitertes Wirtschaftsministerium und das Bildungsressort. Sollte Wolfgang Schäuble als Finanzminister ausscheiden, ist EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) als Nachfolger im Gespräch. Mit Agenturen

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